15.11.2024
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Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil06.03.2014

Arbeitsunfall des Mitarbeiters: Arbeitgeber haftet gegenüber der Unfall­ver­si­cherung nur bei besonders krassem und subjektiv unent­schuldbarem FehlverhaltenNicht jeder Verstoß gegen einschlägige Unfall­verhütungs­vorschriften ist als grob fahrlässiges Verhalten zu werten

Der Arbeitgeber haftet gegenüber der Berufs­genossen­schaft nicht bei jeder ihm vorzuwerfenden Verletzung von Unfall­verhütungs­vorschriften auf dem Bau. Da der Arbeitgeber an die Berufs­genossen­schaft Beiträge für die Unfall­ver­si­cherung gezahlt hat, ist er bei einem Arbeitsunfall eines Mitarbeiters nur bei einem besonders krassen und subjektiv schlechthin unent­schuldbaren Fehlverhalten verpflichtet, der Berufs­genossen­schaft die Aufwendungen für den Arbeitsunfall zu erstatten. Dies entschied das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht und wies damit die Klage der Berufs­genossen­schaft gegen einen Bauunternehmer auf Erstattung von Aufwendungen für einen Arbeitsunfall ab.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der beklagte Arbeitgeber ist Bauunternehmer. Zusammen mit einem bei ihm beschäftigten Betonmischer/Einschaler führte er auf der Baustelle eines Einfa­mi­li­en­hauses die Verscha­lungs­a­r­beiten für die Keller­ge­schossdecke durch, indem sie Schaltafeln auf der Trägerlage befestigten. Im Bereich zu dem Keller­trep­pen­öff­nungs­schacht waren die verlegten Schaltafeln zunächst nicht auf den Trägerbalken vernagelt und standen in den Keller­trep­pen­öff­nungs­schacht über. Als der Bauunternehmer vor dem Ende der Verscha­lungs­a­r­beiten die Baustelle verließ, wies er zuvor seinen Mitarbeiter an, im Bereich des Keller­trep­pen­öff­nungs­schachts die Schalplatten um den über den Trägerbalken hinausragenden Teil zu verkürzen und dann auf dem Trägerbalken zu vernageln. Nachdem der Mitarbeiter zunächst andere Arbeiten durchführte, betrat er nachfolgend eine der unbefestigten Schalplatten, die in den Schacht hineinragte, kippte mit der Platte um und stürzte 2,40 m tief auf den Betonfußboden des Keller­ge­schosses. Er erlitt schwere Kopfver­let­zungen und brach sich das Schulterblatt. Die Berufsgenossenschaft Bauwirtschaft kam als gesetzlicher Unfall­ver­si­cherer für die Folgen des Arbeitsunfalls auf, verlangte allerdings vom Arbeitgeber Erstattung der Kosten.

LG verurteilt Arbeitgeber zur Erstattung der Aufwendungen für den Arbeitsunfall an die Berufs­ge­nos­sen­schaft

Das Landgericht hat den Arbeitgeber auf Zahlung von mehr als 56.000 Euro verurteilt mit der Begründung, dass nach den Unfall­ver­hü­tungs­vor­schriften für Bauarbeiten eine Absturz­si­cherung (z.B. Geländer, Abdeckung) für den Treppen­öff­nungs­schacht hätte angebracht werden müssen. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Arbeitgeber Berufung beim Oberlan­des­gericht ein.

Arbeitgeber haftet nur bei vorsätzlich und grob fahrlässiger Herbeiführung des Versi­che­rungsfalls

Das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht entschied, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, der Berufs­ge­nos­sen­schaft die Aufwendungen für den Arbeitsunfall seines Mitarbeiters zu erstatten. Als Arbeitgeber haftet er der Berufs­ge­nos­sen­schaft für die infolge des Arbeitsunfalls entstandenen Aufwendungen nur dann, wenn er den Versi­che­rungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 110 Sozial­ge­setzbuch VII). Nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfall­ver­hü­tungs­vor­schriften ist schon als ein grob fahrlässiges Verhalten zu werten. Wegen ihrer an die Berufs­ge­nos­sen­schaft gezahlten Beiträge sollen die Unternehmer grundsätzlich von einer Haftung freigestellt sein. Sie sollen im Wege des Rückgriffs nur dann in Anspruch genommen werden, wenn eine besonders krasse und subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflicht­ver­letzung vorliegt. Ein subjektives Fehlverhalten in einem solchen Ausmaß kann dem Arbeitgeber nicht vorgeworfen werden. Die nach den Unfall­ver­hü­tungs­vor­schriften erforderliche Sicherung des Keller­trep­pen­schachts als (mehr als 2 m) tiefe Deckenöffnung, z.B. durch Abdecken oder Anbringen eines Geländers (§ 12 a BGVC 22), gilt erst nach Abschluss der Verscha­lungs­a­r­beiten, nicht aber während der laufenden Verscha­lungs­a­r­beiten. Wenn man das anders sehen würde, wären die Verscha­lungs­a­r­beiten für eine Geschossdecke kaum praktisch durchführbar, weil jeweils nach Verlegung eines Schalbrettes eine neue Absturz­si­cherung angebracht werden müsste.

Arbeitgeber musste bei erfahrenem Mitarbeiter nicht mit Zuwider­hand­lungen gegen Arbeits­an­wei­sungen rechnen

Ob darüber hinaus für die laufenden Verscha­lungs­a­r­beiten zusätzliche Absturz­si­che­rungen zur Sicherheit des Mitarbeiters geboten waren, kann dahinstehen, weil dem Arbeitgeber nicht vorgeworfen werden kann, dass er grob fahrlässig jegliche Sicher­heits­vor­kehrung unterlassen hat. Bei fachgerechter Ausführung der Verscha­lungs­a­r­beiten nach Verlegung und Vernagelung des ersten Schalbretts hätte stets ein gesicherter Untergrund für die Verlegung und Vernagelung des nächsten Schalbretts zur Verfügung gestanden. Der Arbeitgeber hatte seinem Mitarbeiter die Anweisung gegeben, die Schalplatten, die in den Keller­trep­pen­schacht hineinragten, zu verkürzen und anschließend zu vernageln. Bei dem Verletzten handelte es sich um einen erfahrenen Mitarbeiter, so dass der Arbeitgeber nicht damit rechnen musste, dass dieser sich nicht an die Arbeits­an­weisung halten und dann selbst auf die ihm bekanntermaßen losen Schalbretter treten würde.

Quelle: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht/ra-online

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