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Sozialgericht Gießen Urteil10.11.2017
Hüfterkrankung bei Handballspielern kann nicht als Berufskrankheit anerkannt werdenMedizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse für Entschädigung als Quasi-Berufskrankheit nicht gegeben
Das Sozialgericht Gießen hat darauf verwiesen, dass es keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne einer gesicherten herrschenden Ansicht gibt, nach denen die Anerkennung einer Hüfterkrankung bei Handballspielern als Berufskrankheit im Verfahren nach § 9 Abs. 2 SGB VII in Betracht kommt. Liegt zwischen Aufnahme der versicherten Tätigkeit als professioneller Handballer und der erstmaligen Diagnose der Hüfterkrankung ein Zeitraum von weniger als zwei Jahren, besteht auch kein "Anfangsverdacht" eines kausalen Zusammenhangs, der Anlass für weitere Ermittlungen des Gerichts bieten würden. Die unversicherten Zeiten als Jugendspieler in einer Sportart, die später beruflich ausgeübt wird, finden bei der Berücksichtigung von Expositionen im Berufskrankheitenrecht keine Berücksichtigung.
Der 1985 geborene Kläger des zugrunde liegenden Falls spielte seit seinem 4. Lebensjahr Handball. Zwischen 2002 und 2012 ging er einer bei der beklagten Berufsgenossenschaft versicherten Profitätigkeit in mehreren Vereinen u. a. von 2008 bis 2010 beim TV Hüttenberg nach. Innerhalb von weniger als zwei Jahren nach Aufnahme der versicherten Tätigkeit kam es zu einer verschleißbedingten Erkrankung des Hüftgelenks. Im November 2014 stellte der Kläger bei der Berufsgenossenschaft einen Antrag auf Anerkennung einer "Wie-Berufskrankheit" nach § 9 Abs. 2 SGB VII. Er vertrat die Auffassung, dass der Hüftschaden ursächlich auf die versicherte Tätigkeit als Handballspieler zurückzuführen sei. Nach Auswertung umfangreicher Krankenunterlagen lehnte die Berufsgenossenschaft mit Bescheiden vom 11. Mai 2015 und 21. Januar 2016 die Anerkennung des Hüftschadens als Berufskrankheit ab.
Hüfterkrankung stellt keine anerkannte Berufskrankheit dar
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gießen wies zunächst darauf hin, dass eine Entschädigung aufgrund einer Anerkennung der Hüfterkrankung des Klägers als Berufskrankheit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII i. V. m. der Anlage 1 zur BKVO nicht in Betracht komme, weil es sich bei der Hüfterkrankung nicht um eine anerkannte Berufskrankheit im Sinne der Anlage 1 zur BKVO handele.
Keinen Anerkennung als Quasi-Berufskrankheit
Der Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung bestehe auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, wonach eine Krankheit gegebenenfalls "wie eine Berufskrankheit" (sogenannte Quasi-Berufskrankheit) entschädigt werden könne. § 9 Abs. 2 SGB VII bestimme, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet sei oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorlägen, wie eine Berufskrankheit entschädigen sollten, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt seien.
Keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Anerkennung des Hüftschadens als Berufskrankheit
Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch zur sogenannten Berufskrankheit-Reife verdichten haben. Dies sei der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine sogenannte herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet gebildet habe. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen müsse zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besäßen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Das Vorliegen derartiger Erkenntnisse zur streitigen Hüfterkrankung könne nicht festgestellt werden.
Bisher nur vier Anzeigen von professionellen Handballspielern über Hüftschaden
Nach Auswertung sämtlicher durch den Kläger beigebrachter und durch das Gericht beigezogener Unterlagen seien die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine Berufskranheits-Reife nicht als erfüllt anzusehen. Es lägen nicht die erforderlichen epidemiologischen Reihenuntersuchungen vor. Bei einer mittleren vierstelligen Zahl von versicherten professionellen Handballspielern lägen insgesamt nur vier Anzeigenfälle vor. Es sei deshalb davon auszugehen, dass durch die geringe Zahl von Verdachtsfällen ein epidemiologischer Zusammenhang nicht vermutet werden könne. Nicht entscheidungserheblich sei, ob die bei dem Kläger bestehende Hüfterkrankung tatsächlich auf seine Tätigkeit als Handballspieler zurückzuführen sei. Denn mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII solle nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelnen nachgewiesen oder wahrscheinlich sei, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sei.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.02.2018
Quelle: Sozialgericht Gießen/ra-online
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