15.11.2024
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Dokument-Nr. 1568

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Urteil12.09.2005Sozialgericht DresdenS 14 RA 497/03
Urteil12.09.2005Sozialgericht DresdenS 14 RA 1137/02
ergänzende Informationen

Sozialgericht Dresden Urteil12.09.2005

Sozialgericht Dresden Urteil12.09.2005

Sozialgericht Dresden hält die Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts zur Zusatz­ver­sorgung in der ehemaligen DDR für verfas­sungs­widrigSozialgericht Dresden übt harsche Kritik am Bundes­so­zi­al­gericht

Die Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts zur Zusatz­ver­sorgung in der ehemaligen DDR ist verfas­sungs­widrig. Das hat die 14. Kammer des Sozialgerichts Dresden in zwei jetzt schriftlich vorliegenden Urteilen vom 12. September 2005 entschieden.

Mit deutlichen Worten hält das Sozialgericht Dresden die ständige Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts (BSG) zur fiktiven Einbeziehung in die Zusatz­ver­sorgung für verfas­sungs­widrig. Zum Hintergrund: In der DDR gab es 27 Zusatz­ver­sor­gungs­systeme. Sie wurden für Beschäftigte in verschiedenen staatswichtigen Bereichen geschaffen. Die Einbezogenen erhielten neben ihrer Rente aus der Sozia­l­ver­si­cherung eine zusätzliche Rente in nicht unbeträcht­licher Höhe. Nach der Wende überführte der Gesetzgeber diese Ansprüche und Anwartschaften mit dem AAÜG in die gesetzliche Renten­ver­si­cherung. Voraussetzung dafür war eine Einbeziehung zu DDR-Zeiten, z.B. durch eine Urkunde.

Das BSG legt § 1 Absatz 1 AAÜG in ständiger Rechtsprechung seit 2002 „verfas­sungs­konform erweiternd“ aus. Das Gleich­heitsrecht gebiete dies. Auch wer zu DDR-Zeiten eine Beschäftigung ausübte, für die nach den Buchstaben der Vorschriften eine Zusatz­ver­sorgung vorgesehen war, müsse gleichbehandelt werden.

Dadurch bekamen im Bereich der zusätzlichen Alters­ver­sorgung der technischen Intelligenz Hunderttausende Ingenieure, Architekten und Techniker der DDR nachträglich Zeiten der Zugehörigkeit von der Deutschen Renten­ver­si­cherung Bund (früher: BfA) festgestellt. Die Differenz kann im Einzelfall bis zu mehreren hundert Euro Rente monatlich betragen. Dies belastet die öffentlichen Haushalte von Bund und neuen Ländern in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich im Milli­a­r­den­bereich. Die Sozialgerichte insbesondere der neuen Länder werden nun mit Zehntausenden Klagen zur Zusatz­ver­sorgung überrollt. Denn das BSG hat zugleich mit seiner erweiternden Auslegung enge Kriterien dafür geschaffen, wer aus heutiger Sicht zu DDR-Zeiten eine Einbeziehung hätte erhalten müssen. Nach Auffassung der 14. Kammer ist die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Eine verfas­sungs­widrige Ungleich­be­handlung liegt nicht vor. Das gesetzliche Konzept der Renten­über­leitung wird gesprengt. Außerdem hätte keiner der Betroffenen bis zu den Entscheidungen des BSG im Traum daran gedacht, Ansprüche auf Zusatz­ver­sorgung zu haben. Das BSG durfte das Gesetz nicht selbst fortbilden. Bei Zweifeln an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Gesetzes hätte es die Vorschrift dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vorlegen müssen, das allein für die Verwerfung von Gesetzen zuständig ist. Das BSG maßt sich die Rolle des Gesetzgebers an. Es übt gesetz­ge­be­rische Funktionen aus. Eine derartige Rechtsfindung ist unzulässig und mit dem Gewal­ten­tei­lungs­prinzip nicht vereinbar. Damit entzieht es sich der Bindung an Recht und Gesetz. Letztlich wirkt sich die Kritik auf den Erfolg der Klagen nicht aus. Denn die Klägerinnen sind Diplom­che­mikerin bzw. Indus­trie­ökonomin und erfüllen damit die persönlichen Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des BSG nicht. Die 14. Kammer musste die Klagen daher auf jeden Fall abweisen. Die Abgrenzung zum BSG erfolgte vor allem im Hinblick auf weitere anhängige Verfahren. Bis auf die unver­öf­fent­lichten Entscheidungen einer Kammer des Sozialgerichts Leipzig sind die Urteile des Sozialgerichts Dresden bundesweit einmalig.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig (Az.: S 14 RA 497/03, S 14 RA 1137/02).

Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen des Beitritts­gebiets (Anspruchs- und Anwart­schafts­über­füh­rungs­gesetz – AAÜG):

Erläuterungen
§ 1 (Absatz 1 Satz 1) Geltungsbereich:

Dieses Gesetz gilt für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonder­ver­sor­gungs­systemen (Versor­gungs­systeme) im Beitrittsgebiet (...) erworben worden sind.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dresden vom 20.12.2005

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