21.11.2024
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Dokument-Nr. 2008

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Urteil27.02.2006Sozialgericht BerlinS 77 AL 742/05
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Sozialgericht Berlin Urteil27.02.2006

Stellenangebot mit Lohn unter Sozialhilfehöhe zumutbar?Arbeit­s­agenturen dürfen Arbeitslose nicht in Stellen vermitteln, für die eine an der Sozialhilfe orientierte Lohnhöhe nicht erreicht wird

Im Sozialgericht Berlin wurde der Fall einer 44-jährigen Arbeitslosen verhandelt, die mit ihren beiden jugendlichen Söhnen zusammenlebt. Sie weigerte sich im Sommer 2004, ein ihr von der Arbeitsagentur unterbreitetes Stellenangebot bei einer Zeita­r­beitsfirma für eine Tätigkeit als Hauswirt­schaftshilfe anzunehmen.

Bei dieser Tätigkeit sollte ein Tariflohn in Höhe von 5,93 € pro Stunde (Tarifgebiet Ost) bei einer Vollzeit­be­schäf­tigung von 35 Stunden je Woche gezahlt werden (Monatslohn brutto 900 €, netto 710 €). Die Arbeitsagentur verhängte daraufhin eine Sperrzeit und verlangte das Arbeits­lo­sengeld für drei Wochen zurück.

Die 77. Kammer hat nun entschieden, dass ein Lohn unzulässig sei, der die Höhe der Sozialhilfe für einen alleinstehenden Hilfe­be­dürftigen nicht erreicht. Die Arbeit­s­agenturen dürften derartige Stellenangebote nicht unterbreiten. Bei Ablehnung durch den Arbeitslosen dürften deshalb Sanktionen nicht verhängt werden. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass ein solches Arbeitsentgelt gegen die Grundrechte der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit sowie gegen das Sozial­staatsgebot und die Vorgaben der Europäischen Sozialcharta verstoße. Inwieweit der Markt und die Produktivität eines Betriebes oder Wirtschafts­be­reiches im Vergleich zum übrigen Markt, etwa angesichts einer extremen strukturellen Masse­n­a­r­beits­lo­sigkeit eine ungünstigere Entgelt­ge­staltung zulassen oder gebieten würden, sei angesichts der Wertent­scheidung des Grundgesetzes für den Sozialstaat rechtlich irrelevant.

Mit der Sozialhilfe und dem Arbeits­lo­sengeld II habe der Gesetzgeber die Grenze für das maßgebliche Existenzminimum gezogen. Da ein hieran orientierter Lohn nur dem Existenzminimum des Arbeitnehmers selbst, nicht auch seiner unter­halts­be­rech­tigten Angehörigen, entspreche, stelle dies die Untergrenze des Lohns für vollschichtige Arbeit dar. Nach Auffassung der Kammer müsse diese Grenze, solange der Gesetzgeber nichts anderes ausdrücklich zulasse, auch von den Tarifparteien eingehalten werden.

Die Richter der 77. Kammer stützen ihr noch nicht rechtskräftiges Urteil auf gleichartige Entscheidungen des Arbeitsgerichts Bremen und des Sozialgerichts Fulda. Sie weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass sie mit ihrer Entscheidung von einem Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts vom 24. März 2004 abweichen, das als Grenze für die Wirksamkeit einer Entgelt­ver­ein­barung den „Hungerlohn“ angesehen hat. Auch die übrigen für die Arbeits­för­derung zuständigen Kammern des Sozialgerichts Berlin haben bislang Tariflöhne unter der Höhe der Sozialhilfe nicht als unzumutbar eingestuft.

Quelle: Pressemitteilung des SG Berlin vom 02.03.2006

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