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- RGSt 32, 165Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen (RGSt), Band: 32, Seite: 165
Reichsgericht Urteil01.05.1899
Reichsgericht zur Entziehung von Elektrizität: Diebstahl an Strom ist nicht möglich (RGSt 32, 165)Elektrische Energie stellt keine Sache im Sinne des § 242 StGB dar
Ein Diebstahl an Strom ist nicht möglich, da die elektrische Energie keine Sache im Sinne des § 242 StGB darstellt. Dies entschied das Reichsgericht im Jahr 1899. Kostenlose-urteile.de veröffentlicht diese Entscheidung in der Reihe "Urteile, die Rechtsgeschichte geschrieben haben".
Im zugrunde liegenden Fall zapfte ein Monteur im Jahr 1899 eine städtische Stromleitung an, um somit sein gemietetes Zimmer mit Licht zu versorgen. Das Reichsgericht hatte nunmehr zu entscheiden, ob dieses Verhalten ein Diebstahl im Sinne des § 242 StGB darstellte.
Diebstahl nur an körperlichen Gegenständen möglich
Das Reichsgericht stellte zunächst fest, dass ein Diebstahl nur an körperlichen Gegenständen möglich sei. Die "Sache" im Sinne des § 242 StGB sei nämlich als eine körperliche Sache zu verstehen. Dies stehe im Übrigen im Einklang mit dem Zivilrecht, wonach nach § 90 BGB als Sachen "nur körperliche Gegenstände" zählen. Unter einem körperlichen Gegenstand verstand das Reichsgericht wiederum nur Stoffe, die eine raumfüllende Materie besitzen. Dies sei der Körper im physikalischen Sinne.
Wegnahme setzt räumlich-körperliche Beherrschbarkeit der Sache voraus
Dieses Verständnis habe nach Auffassung des Reichsgerichts den gesetzlichen Merkmalen des Diebstahls entsprochen, wonach eine bewegliche Sache aus dem Gewahrsam eines anderen weggenommen werden muss. Gewahrsam bedeute dabei die tatsächliche Herrschaft eines bestimmten Gegenstands in körperlicher und räumlicher Weise zu besitzen. Die weggenommene Sache müsse daher räumlich beherrschbar, also greifbar sein. Es genüge dagegen nicht, dass eine Wirkung oder Bewegung der Sache durch menschliche Einwirkung in eine Richtung gelenkt wird.
Elektrizität stellt keinen Stoff dar
Das Reichsgericht hatte also darüber zu befinden, ob die Elektrizität eine körperliche Sache darstellt und damit aus dem Gewahrsam eines anderen weggenommen werden kann. Dies verneinte das Gericht. Denn obwohl zur damaligen Zeit die Eigenschaften der Elektrizität noch weitgehend unbekannt waren, wurde der elektrischen Energie die Eigenschaft eines Stoffes abgesprochen. Vielmehr sei sie als Bewegungsform, welche auf Schwingungen beruht, angenommen worden. Aufgrund dessen habe das Gericht dem Strom die Eigenschaft einer selbstständigen Sache, also eines Stoffes, abgesprochen.
Keine Vergleichbarkeit mit Gas
Soweit teilweise eine Vergleichbarkeit mit Gas gezogen wurde, da es wie elektrisches Licht sinnlich wahrnehmbar ist, folgte das Reichsgericht dem nicht. Denn Licht sei nicht identisch mit der lichterzeugenden Substanz, nämlich dem Strom. Insofern sei zwar unter Umständen eine Vergleichbarkeit von Licht und Gas gegeben, aber keine von Strom und Gas. Ebenso sei das Argument, dass die Stärke des elektrischen Stroms messbar und dessen Ableitung möglich ist, für die Annahme einer Körperlichkeit nicht durchschlagend. Denn mess- und leitbar seien auch andere unstoffliche Kräfte, wie Wärme.
Speicherung von elektrischer Energie in Batterien unbeachtlich
Zwar werde teilweise behauptet, so das Reichsgericht weiter, dass sich die elektrische Energie durch die Speicherung in Batterien in eine Form bringen lässt und dass man diese Batterie dann wegnehmen kann. Man dürfe aber zugleich nicht außer Acht lassen, dass eine Wegnahme des Stroms unabhängig von der Batterie weiterhin nicht möglich ist. Zudem würde dieser Ansatz nicht für den vorliegenden Fall helfen, wo jemand eine elektrische Leitung anzapft, ohne dass eine Speicherung in Batterien stattfindet.
Strom als Arbeitsprodukt
Des Weiteren hielt das Reichsgericht die Argumentation für nicht überzeugend, dass der Strom als menschliches Arbeitsprodukt eine stoffliche Eigenschaft besitzt. Denn die Elektrizität sei eine Naturkraft und kann durch menschliche Tätigkeiten nicht erzeugt oder geschaffen werden. Vielmehr werde sie nur ausgelöst und in einer bestimmten Weise den menschlichen Zwecken nutzbar gemacht. Sie stelle daher kein Produkt durch menschliche Arbeit dar.
Analogieverbot zu Ungunsten eines Angeklagten war zu beachten
Darüber hinaus gab das Reichsgericht zu bedenken, dass eine Anwendung des § 242 StGB auch auf unkörperliche Sachen nicht möglich sei. Denn eine solche Analogie oder entsprechende Anwendung sei nach § 2 Abs. 1 RStGB (neu: Art. 103 Abs. 2 GG) unzulässig gewesen. Nach dieser Vorschrift dürfe eine Lücke im Gesetz nicht durch eine Analogie ausgefüllt werden, um eine Handlung zu bestrafen, die zur Zeit der Tat noch nicht unter Strafe stand. Mit anderen Worten, eine Analogie zu Ungunsten des Angeklagten ist unzulässig. Das Verhalten des Monteurs sei daher nur in den Grenzen der bestehenden Gesetze zu bestrafen gewesen.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1899 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechtsgeschichte geschrieben haben".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.09.2013
Quelle: Reichsgericht, ra-online (vt/rb)
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