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Thüringer Oberverwaltungsgericht Urteil12.12.2006
Zwangsweise Teilzeit für verbeamtete Thüringer Lehrer ist rechtswidrigNicht gerechtfertigter Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte von Beamten
Die in Thüringen faktisch geltende Teilzeitpflicht (sog. Einstellungsteilzeitregelung) für verbeamtete Lehrer verstößt nach Auffassung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts gegen das Grundgesetz. Im Ergebnis wird der Freistaat verpflichtet, eine klagende Lehrerin in Vollzeit zu beschäftigen.
Der Entscheidung lag der Fall einer Grundschullehrerin zugrunde, die nach ihrer Verbeamtung entgegen ihrem Wunsch lediglich in Teilzeit beschäftigt wurde. Die zunächst im Angestelltenverhältnis beschäftigte Klägerin hatte mehrfach ihre Verbeamtung in Vollzeitbeschäftigung beantragt, die vom beklagten Freistaat jeweils abgelehnt wurde. Da der beklagte Freistaat bei Lehrern nur solche Bewerber zu Beamten ernannte und ernennt, die sich mit einer Teilzeitbeschäftigung nach ihrer Ernennung einverstanden erklärten bzw. erklären, stellte auch die Klägerin einen Antrag auf Verbeamtung in Teilzeitbeschäftigung und machte nach ihrer Ernennung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einstellungsteilzeit einen Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung geltend.
Nachdem das Verwaltungsgericht Weimar in seiner Entscheidung vom 31.01.2006 der Klägerin Recht gegeben hatte, weil die unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der Klägerin als Beamtin darstelle, hat nunmehr das Thüringer Oberverwaltungsgericht die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des beklagten Freistaats zurückgewiesen und die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Weimar bestätigt.
Der Vorsitzende des 2. Senats des Thüringer Oberverwaltungsgerichts hat in der mündlichen Begründung des Urteils darauf hingewiesen, dass der Thüringer Gesetzgeber sich dem verfassungsrechtlichen Risiko bei der Schaffung des der Entscheidung des Freistaats zu Grunde liegenden § 76 a ThürBG ausweislich der Gesetzesmaterialien durchaus bewusst gewesen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner Entscheidungsfindung ausführlich mit der an den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Teilzeitbeschäftigung von neu eingestellten Beamten geübten Kritik auseinandergesetzt und darüber hinaus die Änderungen des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform geprüft. Im Ergebnis hat aber keine Veranlassung bestanden, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Thüringer Regelung abzuweichen.
Danach verstößt eine gesetzlich zwingende Teilzeitbeschäftigung gegen den Willen des Beamten gegen die in Art. 33 GG enthaltenen Grundsätze des Beamtentums, nämlich gegen das Leistungsprinzip, das Alimentationsprinzip, wonach der Dienstherr seinen Beamten eine amtsangemessene Besoldung schuldet, und gegen den Grundsatz der Vollzeitbeschäftigung der Beamten.
Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe ist nicht gegeben. § 44 a BRRG ermöglicht lediglich die Einführung von Teilzeitregelungen, entbindet aber die Länder nicht von der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Auch das Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG und der sog. Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG, wonach die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse Beamten zu übertragen ist, rechtfertigen den hier gegebenen Eingriff in die grundrechtsähnlichen Rechte der Klägerin aus Art. 33 Abs. 5 GG nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch die einigungsbedingte Personalsituation in den neuen Bundesländern keine Rechtfertigung für diesen Eingriff darstellen. Diese Situation ist bei der Schaffung des Einigungsvertrages als grundsätzliches Problem bekannt gewesen, dennoch hat der Gesetzgeber nur zeitlich befristete Übergangsregelungen für den Personalabbau geschaffen, die nunmehr längst ausgelaufen sind. In der Denkschrift zum Einigungsvertrag ist gerade darauf hingewiesen worden, dass die beamtenrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes - gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen der DDR - einzuhalten sind. In den meisten der anderen neuen Länder sind zudem die ähnlich gelagerten personellen Probleme ohne eine der Thüringer Regelung entsprechende unfreiwillige Einstellungsteilzeitregelung gelöst worden.
Der Senat sieht davon ab, § 76 a ThürBG im Hinblick auf die Fälle unfreiwilliger Einstellungsteilzeit dem Verfassungsgericht vorzulegen. Es ist eine sog. verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung dahin möglich, dass sie nur die verfassungsrechtlich unbedenklichen Fälle der tatsächlich freiwilligen Teilzeitbeschäftigung von Beamten erfasst. Eine solche freiwillige Teilzeitbeschäftigung liegt aber im Falle der Klägerin nicht vor, da sie nicht die Wahl zwischen einer Vollzeitbeschäftigung und einer Teilzeitbeschäftigung gehabt hat. Sie hatte vielmehr nur die Möglichkeit, unter Inkaufnahme einer Teilzeitbeschäftigung ihre Ernennung zur Beamtin zu erreichen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der bisher vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht entschiedenen Frage, ob die personelle Situation im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer nach dem Beitritt zur Bundesrepublik eine solche unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung bei der Einstellung in das Beamtenverhältnis ausnahmsweise rechtfertigen kann, hat der Senat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die Entscheidung hat thüringenweite Bedeutung, da nach Mitteilung des Freistaats in der mündlichen Verhandlung noch ca. 80 Klageverfahren von derzeit aus Anlass ihrer Verbeamtung teilzeitbeschäftigten Lehrern vor den Verwaltungsgerichten im Freistaat anhängig sind. Eine Vielzahl weiterer Verfahren befindet sich noch in der Bearbeitung durch die Verwaltung.
Erläuterungen
VorinstanzVerwaltungsgericht Weimar, Urteil vom 31.01.2006 - 4 K 5868/04.We
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.12.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OVG Thüringen vom 12.12.2006
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