23.11.2024
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Dokument-Nr. 3490

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Thüringer Oberverwaltungsgericht Urteil12.12.2006

Zwangsweise Teilzeit für verbeamtete Thüringer Lehrer ist rechtswidrigNicht gerecht­fer­tigter Eingriff in die verfas­sungs­rechtlich verbürgten Rechte von Beamten

Die in Thüringen faktisch geltende Teilzeitpflicht (sog. Einstel­lungs­teil­zeit­re­gelung) für verbeamtete Lehrer verstößt nach Auffassung des Thüringer Oberver­wal­tungs­ge­richts gegen das Grundgesetz. Im Ergebnis wird der Freistaat verpflichtet, eine klagende Lehrerin in Vollzeit zu beschäftigen.

Der Entscheidung lag der Fall einer Grund­schul­lehrerin zugrunde, die nach ihrer Verbeamtung entgegen ihrem Wunsch lediglich in Teilzeit beschäftigt wurde. Die zunächst im Angestell­ten­ver­hältnis beschäftigte Klägerin hatte mehrfach ihre Verbeamtung in Vollzeit­be­schäf­tigung beantragt, die vom beklagten Freistaat jeweils abgelehnt wurde. Da der beklagte Freistaat bei Lehrern nur solche Bewerber zu Beamten ernannte und ernennt, die sich mit einer Teilzeit­be­schäf­tigung nach ihrer Ernennung einverstanden erklärten bzw. erklären, stellte auch die Klägerin einen Antrag auf Verbeamtung in Teilzeit­be­schäf­tigung und machte nach ihrer Ernennung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts zur Einstel­lungs­teilzeit einen Anspruch auf Vollzeit­be­schäf­tigung geltend.

Nachdem das Verwal­tungs­gericht Weimar in seiner Entscheidung vom 31.01.2006 der Klägerin Recht gegeben hatte, weil die unfreiwillige Teilzeit­be­schäf­tigung einen nicht gerecht­fer­tigten Eingriff in die verfas­sungs­rechtlich verbürgten Rechte der Klägerin als Beamtin darstelle, hat nunmehr das Thüringer Oberver­wal­tungs­gericht die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des beklagten Freistaats zurückgewiesen und die Rechts­auf­fassung des Verwal­tungs­ge­richts Weimar bestätigt.

Der Vorsitzende des 2. Senats des Thüringer Oberver­wal­tungs­ge­richts hat in der mündlichen Begründung des Urteils darauf hingewiesen, dass der Thüringer Gesetzgeber sich dem verfas­sungs­recht­lichen Risiko bei der Schaffung des der Entscheidung des Freistaats zu Grunde liegenden § 76 a ThürBG ausweislich der Geset­zes­ma­te­rialien durchaus bewusst gewesen ist. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat sich im Rahmen seiner Entschei­dungs­findung ausführlich mit der an den Entscheidungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts zur Teilzeit­be­schäf­tigung von neu eingestellten Beamten geübten Kritik ausein­an­der­gesetzt und darüber hinaus die Änderungen des Grundgesetzes im Rahmen der Födera­lis­mus­reform geprüft. Im Ergebnis hat aber keine Veranlassung bestanden, von der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Thüringer Regelung abzuweichen.

Danach verstößt eine gesetzlich zwingende Teilzeit­be­schäf­tigung gegen den Willen des Beamten gegen die in Art. 33 GG enthaltenen Grundsätze des Beamtentums, nämlich gegen das Leistungs­prinzip, das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip, wonach der Dienstherr seinen Beamten eine amtsangemessene Besoldung schuldet, und gegen den Grundsatz der Vollzeit­be­schäf­tigung der Beamten.

Eine verfas­sungs­rechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe ist nicht gegeben. § 44 a BRRG ermöglicht lediglich die Einführung von Teilzeit­re­ge­lungen, entbindet aber die Länder nicht von der Einhaltung der verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben. Auch das Sozial­staatsgebot des Art. 20 GG und der sog. Funkti­o­ns­vor­behalt des Art. 33 Abs. 4 GG, wonach die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse Beamten zu übertragen ist, rechtfertigen den hier gegebenen Eingriff in die grund­recht­s­ähn­lichen Rechte der Klägerin aus Art. 33 Abs. 5 GG nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch die einigungs­be­dingte Perso­nal­si­tuation in den neuen Bundesländern keine Rechtfertigung für diesen Eingriff darstellen. Diese Situation ist bei der Schaffung des Einigungs­ver­trages als grundsätzliches Problem bekannt gewesen, dennoch hat der Gesetzgeber nur zeitlich befristete Überg­angs­re­ge­lungen für den Personalabbau geschaffen, die nunmehr längst ausgelaufen sind. In der Denkschrift zum Einigungs­vertrag ist gerade darauf hingewiesen worden, dass die beamten­recht­lichen Vorgaben des Grundgesetzes - gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen der DDR - einzuhalten sind. In den meisten der anderen neuen Länder sind zudem die ähnlich gelagerten personellen Probleme ohne eine der Thüringer Regelung entsprechende unfreiwillige Einstel­lungs­teil­zeit­re­gelung gelöst worden.

Der Senat sieht davon ab, § 76 a ThürBG im Hinblick auf die Fälle unfreiwilliger Einstel­lungs­teilzeit dem Verfas­sungs­gericht vorzulegen. Es ist eine sog. verfas­sungs­konforme Auslegung der Bestimmung dahin möglich, dass sie nur die verfas­sungs­rechtlich unbedenklichen Fälle der tatsächlich freiwilligen Teilzeit­be­schäf­tigung von Beamten erfasst. Eine solche freiwillige Teilzeit­be­schäf­tigung liegt aber im Falle der Klägerin nicht vor, da sie nicht die Wahl zwischen einer Vollzeit­be­schäf­tigung und einer Teilzeit­be­schäf­tigung gehabt hat. Sie hatte vielmehr nur die Möglichkeit, unter Inkaufnahme einer Teilzeit­be­schäf­tigung ihre Ernennung zur Beamtin zu erreichen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der bisher vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht noch nicht entschiedenen Frage, ob die personelle Situation im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer nach dem Beitritt zur Bundesrepublik eine solche unfreiwillige Teilzeit­be­schäf­tigung bei der Einstellung in das Beamten­ver­hältnis ausnahmsweise rechtfertigen kann, hat der Senat die Revision zum Bundes­ver­wal­tungs­gericht zugelassen. Die Entscheidung hat thüringenweite Bedeutung, da nach Mitteilung des Freistaats in der mündlichen Verhandlung noch ca. 80 Klageverfahren von derzeit aus Anlass ihrer Verbeamtung teilzeit­be­schäf­tigten Lehrern vor den Verwal­tungs­ge­richten im Freistaat anhängig sind. Eine Vielzahl weiterer Verfahren befindet sich noch in der Bearbeitung durch die Verwaltung.

Erläuterungen

Vorinstanz

Verwal­tungs­gericht Weimar, Urteil vom 31.01.2006 - 4 K 5868/04.We

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OVG Thüringen vom 12.12.2006

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