23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 29228

Drucken
ergänzende Informationen

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss22.09.2020

Schulausschluss nach Schlägerei rechtwidrigOrdnungs­maßnahme der Schule unver­hält­nismäßig

Ein Schüler, der von einem Mitschüler tätlich angegriffen wurde und sich mit einem Faustschlag zur Wehr setzte, der zu einer lebens­ge­fähr­lichen Verletzung des Mitschülers führte, durfte wegen dieses Vorfalls nicht von der Schule entlassen werden. Das hat das Oberverwaltungs­gericht Nordrhein-Westfalen entschieden.

Der seinerzeit 14 Jahre alte Schüler war an einer Bushaltestelle vor dem Schulgelände von dem gleichaltrigen Mitschüler mit mehreren Faustschlägen angegriffen worden. Der Schüler wehrte sich mit einem Schlag, der den Mitschüler so am Kopf traf, dass dieser zu Boden fiel und einen Schädelbruch mit massiven Gehirnblutungen erlitt. Das ihn betreffende strafrechtliche Ermitt­lungs­ver­fahren wegen schwerer Körper­ver­letzung stellte die Staats­an­walt­schaft ein, weil von einer Notwehr­si­tuation auszugehen sei.

VG lehnte Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab

Gegen die von der Gesamtschule wegen des Vorfalls verfügte Entlassung erhob der Schüler Klage, die er weiter verfolgt, auch wenn er nunmehr eine andere Schule besucht und nicht an seine frühere Schule zurückkehren möchte. Er beantragte die Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe, weil er die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Diesen Antrag lehnte das Verwal­tungs­gericht mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Rechts­schutz­be­dürfnis besteht trotz Schulwechsel weiter

Die Schulentlassung habe sich nicht dadurch erledigt, dass der Schüler an seiner neuen Schule bleiben wolle. Die Erledigung trete in einem solchen Fall grundsätzlich erst dann ein, wenn die Schullaufbahn beendet sei, weil die Entlassung von der Schule einen Anspruch auf Wiederaufnahme grundsätzlich ausschließe. Dass der Schüler eine Rückkehr an seine frühere Schule nicht beabsichtige, sei unerheblich, weil es auf sein subjektives Interesse nicht ankomme. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Schulentlassung bestehe fort, da negative Auswirkungen der Ordnungs­maßnahme auf die weitere Schullaufbahn möglich seien.

Schulentlassung unver­hält­nismäßig und daher rechtswidrig

Die Ordnungs­maßnahme sei unver­hält­nismäßig und daher rechtswidrig. Eine Entlassung von der Schule ohne vorherige Androhung sei nur in begründeten Ausnahmefällen verhältnismäßig, nämlich wenn zu einem schweren oder wiederholten Fehlverhalten des Schülers weitere erschwerende Umstände wie insbesondere gewalttätiges Handeln oder schweres kriminelles Tun hinzu kämen. Jedenfalls solche Umstände habe die Schule nicht festgestellt. Hier habe der Schüler in einer Abwehrsituation gehandelt, die das Gewicht eines ihm vorzuwerfenden Fehlverhaltens auch schul­ord­nungs­rechtlich nicht unerheblich gemindert habe.

Keine tatsächlichen Erkenntnisse für gravierendes Fehlverhalten

Allerdings sei im Interesse des Schulfriedens von einem Schüler grundsätzlich zu erwarten, dass er körperliche Ausein­an­der­set­zungen, auch wenn diese von anderen ausgingen, meide und sich solchen Situationen entziehe, soweit ihm das möglich sei. Inwieweit hiernach ein dem Schüler vorwerfbares Fehlverhalten verblieben sei, bedürfe keiner näheren Prüfung. Denn es lägen jedenfalls keine tatsächlichen Erkenntnisse dafür vor, dass die Schwelle zu einem gravierenden Fehlverhalten, bei dem eine Entlassung von der Schule ohne vorherige Androhung verhältnismäßig sein könne, im vorliegenden Fall erreicht gewesen sei.

Ordnungs­maßnahme wegen unzureichender Sachver­halts­auf­klärung der Schule ermes­sens­feh­lerhaft

Zudem sei die Ordnungs­maßnahme ermes­sens­feh­lerhaft, weil sie auf einer in wesentlicher Hinsicht unvollständigen Tatsa­chen­grundlage beruhe. Die Schule habe den tatsächlichen Hergang der Schlägerei nicht vollständig berücksichtigt und dem entlassenen Schüler ein Mitverschulden an deren Zustandekommen vorgehalten, ohne konkrete tatsächliche Erkenntnisse hierfür zu benennen. Damit habe die Schule gegen ihre Pflicht verstoßen, den Sachverhalt umfassend und zeitnah aufzuklären und ihre Ermittlungen sorgfältig zu dokumentieren. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss29228

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI