15.11.2024
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Dokument-Nr. 6002

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Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Urteil29.04.2008

Sofortige Bestattung eines aufgefundenen Leichnams kann gegen Menschenwürde verstoßenKurzzeitige Aufbewahrung auch eines verwesten Leichnams zumutbar

Nach dem Auffinden eines Leichnams muss ein Ordnungsamt mit Nachdruck versuchen, die Angehörigen zu ermitteln und zu benachrichtigen, bevor es die Bestattung anordnet. Das hat das Oberver­wal­tungs­gericht Nordrhein-Westfalen entschieden. Damit hat es zwei Brüdern Recht gegeben, von denen die Stadt Frechen 1.622,18 € für die Notbestattung ihres dritten Bruders verlangte. Das Verwal­tungs­gericht Köln hatte zuvor ihre Klage abgewiesen.

Vermieter und Polizei hatten den stark verwesten Leichnam des 45-Jährigen am Morgen eines heißen Augusttages in seiner Wohnung gefunden. Er lebte allein und war, wie der herbeigerufene Hausarzt feststellte, als Diabetiker an akutem Herz-Kreis­lauf­versagen gestorben. Weil die Wohnung bereits voller Ungeziefer war, beauftragte das Ordnungsamt sofort einen Bestatter. Dieser beerdigte den Verstorbenen noch am Nachmittag desselben Tages in einem Reihengrab auf einem nahe gelegenen Friedhof. Vormittags hatte das Ordnungsamt ermittelt, dass einer der beiden klagenden Brüder im Jahr zuvor in einen Nachbarort verzogen war. Die neue Adresse ergab sich aus dem Melderegister. Da er nicht im Telefonbuch stand, informierte es ihn per Brief über den Tod des Bruders. Nicht ermittelt hatte es den anderen Bruder, der in Frechen nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt wohnte. Er war ebenfalls ordnungsgemäß gemeldet und im Telefonbuch eingetragen.

Die beiden Brüder kritisierten es als extrem pietätlos, die Bestattung quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit ohne Familie und nächste Angehörige vorzunehmen. Die Stadt habe ihnen eine würdevolle Beisetzung im Rahmen einer Trauerfeier verwehrt. Sie hätten weder den Friedhof noch das Grab, die letzte Bekleidung, den Sarg oder den Blumenschmuck aussuchen können. Auch in einem solchen Notfall hätte die Stadt den Leichnam wenigstens für ein bis zwei Tage in einem Kühlraum aufbewahren müssen, um den Angehörigen einen angemessenen Abschied zu ermöglichen. Geeignete Kühlräume hätten nicht nur rechts­me­di­zi­nische Institute, sondern auch zahlreiche Bestat­tungs­un­ter­nehmen und die Krematorien.

Der Senat ist dieser Argumentation im Ergebnis gefolgt. Er hat die sofortige Beerdigung des verstorbenen Bruders als einen Verstoß gegen das Subsi­dia­ri­täts­prinzip im Bestat­tungsrecht gewertet. Danach treffe die Bestat­tungs­pflicht vorrangig die Angehörigen. Erst wenn sie dieser Pflicht nicht nachkämen oder alle zumutbaren Maßnahmen zu ihrer Ermittlung und Benach­rich­tigung erfolglos geblieben seien, setze die Bestat­tungs­pflicht der Gemeinde ein. Vorher dürfe sie die Bestattung nicht vornehmen, weil dies gegen die Menschenwürde des Verstorbenen verstoßen könne. Dieses oberste Verfas­sungs­prinzip wirke über den Tod hinaus und gebiete eine Bestattung möglichst nach den Wünschen des Verstorbenen. Bei Leichenfunden sei die Ermittlung dieser Wünsche in der Regel nur über die Angehörigen möglich. Auch deren Recht auf Totenfürsorge genieße Verfassungsrang. Aus dem hohen Rang dieser Rechtsgüter ergebe sich für die Ordnungsbehörde die Pflicht, nach einem Leichenfund mit allem Nachdruck Ermittlungen nach den Angehörigen aufzunehmen und diese, wenn sie sie rechtzeitig erreicht, zur Bestattung zu veranlassen.

Das gelte auch dann, wenn ein Leichenfund mit erheblicher Gesund­heits­gefahr verbunden sei. Zur Beseitigung dieser Gefahr sei hier nur die sofortige Räumung der Wohnung, nicht aber auch die sofortige Bestattung der Leiche erforderlich gewesen. Die Ordnungsbehörde sei verpflichtet, geeignete Vorkehrungen für die kurzzeitige Aufbewahrung auch eines verwesten Leichnams zu treffen. Dazu müsse sie nicht selbst Kühlräume vorhalten, sondern könne sich auch durch vertragliche Vereinbarungen Zugang hierzu verschaffen. Dies sei ihr wegen der Seltenheit solcher Fälle auch finanziell zumutbar, zumal die Kosten für eine kurzzeitige Kühlung grundsätzlich erstat­tungsfähig seien.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.05.2008

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