Dokument-Nr. 2817
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Oberverwaltungsgericht Hamburg Beschluss20.07.2006
Erzwingungshaft für Vater zur Durchsetzung der Schulpflicht bei seinen Kindern zulässigNicht-christliche Ausrichtung der Schule kein Argument gegen Schulpflicht
Weigert sich ein Vater aus religiösen Gründen, seine Kinder an einer staatlichen Schule anzumelden oder nach Anmeldung nicht dafür sorgt, dass die Kinder auch zur Schule gehen, so kann er mittels Erzwingungshaft hierzu gezwungen werden.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (15 E 340/06) den Antrag der Eltern von 3 schulpflichtigen Kindern gegen die behördliche Anordnung abgelehnt, ihre Kinder in staatlichen Schulen anzumelden und sicher zu stellen, dass sie regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Ferner hat das Verwaltungsgericht die Auffassung der Behörde bestätigt, dass sie diese Verpflichtung mit Hilfe eines Zwangsgeldes durchsetzen darf.
Die Eltern weigern sich aufgrund ihres christlichen Glaubens und ihrer Weltanschauung seit längerem, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Sie halten den staatlichen Schulunterricht für schädlich. Nach verschiedenen vorangegangenen behördlichen und gerichtlichen Verfahren gab die Behörde den Eltern im Januar 2006 erneut auf, die 3 ältesten ihrer 6 Kinder bis zum 2. Februar 2006 an staatlichen Schulen anzumelden. Für den Fall, dass sie dieser Anordnung nicht nachkommen sollten, setzte die Behörde gleichzeitig ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500.-- € fest.
Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Eltern nach den Vorschriften des Schulgesetzes nicht berechtigt seien, ihre Kinder wegen ihrer Glaubensüberzeugungen vom Unterricht in staatlichen oder privaten Schulen fernzuhalten und sie zu Hause zu unterrichten. Mit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt es weiter aus, dass die Pflicht zum Besuch einer Schule der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags diene. Dieser Auftrag richte sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegen zu wirken und Minderheiten zu integrieren. Es reiche nicht aus, lediglich den Heimunterricht staatlich zu kontrollieren. Soziale Kompetenz und gelebte Toleranz könnten nur wirksam eingeübt werden, wenn die Kinder auch regelmäßig im Alltag Kontakt mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen hätten. Dafür müssten die Kinder regelmäßig die Schule besuchen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in einem Verfahren, das ähnlich Betroffene im Jahre 2005 dort anhängig gemacht hätten, brauche nicht abgewartet zu werden. Es sei nicht zu erwarten, dass dieses Verfahren, das voraussichtlich erst in einigen Jahren entschieden werde, den Eltern einen Anspruch auf Heimunterricht für ihre Kinder geben werde.
Die Festsetzung des Zwangsgeldes wurde ebenfalls als rechtmäßig angesehen. Es sei das Zwangsmittel, das die Eltern am wenigsten belaste. Als erster Vollstreckungsversuch sei es Voraussetzung für nachhaltigere Zwangsmittel, wie die Erzwingungshaft.
Nachdem das Zwangsgeld nicht beigetrieben werden konnte, beantragte die Behörde die Erzwingungshaft nur gegen den Vater, damit die Mutter die Kinder weiterhin zu Hause betreuen könne. Dem kam das Verwaltungsgericht nach und ordnete Erzwingungshaft von einer Woche gegen den Vater an.
Es sei nicht davon auszugehen, dass eine wiederholte Festesetzung von Zwangsgeld den Vater veranlassen werde, seine Kinder in die Schule zu schicken. Außerdem wäre eine weitere Zwangsgeldfestsetzung angesichts seiner finanziellen Situation wirkungslos, da Zwangsgelder bis auf weiteres nicht beigetrieben werden könnten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Beschwerde müsse nicht abgewartet werden, da dieses Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung habe und im Interesse der Einschulung der Kinder Eile geboten sei. Ausreichender Rechtsschutz sei gewährleistet, da der Vater die Haftanordnung ebenfalls mit der Beschwerde angreifen könne.
Die Anordnung der Haft verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Möglichkeit der zwangsweisen Zuführung der Kinder im Rahmen des Schulzwanges nach § 41 a des hamburgischen Schulgesetzes stelle kein milderes Mittel dar. Zwar wäre damit der Vorteil verbunden, dass die Kinder sofort zur Schule gingen. Im Falle einer weltanschaulich und religiös begründeten Totalverweigerung wie hier müsste die Behörde den Schulzwang aber in einer Art und Weise durchsetzen, die es erheblich erschweren würde, die Kinder in die Schulgemeinschaft zu integrieren. Sie müssten vermutlich jeden Morgen gewaltsam mit Hilfe der Polizei aus dem Elternhaus geholt und in die Schule gebracht werden. Ihre wahrscheinlich schon jetzt bestehende negative Einstellung gegenüber einem Schulbesuch werde dadurch zusätzlich verstärkt. Die Kinder würden sich als Objekt, wenn nicht sogar als Opfer des Staates fühlen. Sie sollten aber die Möglichkeit haben, mit einem Rest an Freiwilligkeit in eine Schule zu gehen. Die Behörde könne auch nicht von der Zwangsvollstreckung gänzlich absehen. Die drohende Entwicklung der Kinder gebe in diesem Falle hinreichenden Anlass, die Schulpflicht zwangsweise durchzusetzen. Es sei sonst zu befürchten, dass die Kinder schwer wiegende Nachteile durch ihre erziehungsbedingte Ausgrenzung erleiden würden. Wenn sie nur in einer eng eingegrenzten Parallelgesellschaft zu Hause leben könnten, fehlte ihnen später die erforderliche Kompetenz, sich unter normalen Umständen in der Gesellschaft zu behaupten. Ihr Recht, selbst über die Gestaltung ihres zukünftigen Lebens entscheiden zu können, wäre erheblich eingeschränkt, wenn sie als Erwachsene ausschließlich auf ihre Formung durch ihre Eltern zurückgreifen könnten. Die in einer solchen Erziehung begründete Unmündigkeit entspräche nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes, sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln.
Sollte sich die Erzwingunghaft gegen den Vater als untauglich erweisen, könne sie auch gegenüber der Mutter angeordnet werden, die in gleicher Weise für die Erfüllung der Schulpflicht ihrer Kinder zu sorgen habe. Schließlich könnte die Behörde auch beim Familiengericht eine Beschränkung des elterlichen Sorgerechts beantragen, was in letzter Konsequenz dazu führen könnte, dass Eltern und Kinder getrennt würden.
Die dagegen von dem Vater eingelegte Beschwerde (1 So 56/06) war im Wesentlichen erfolglos.
Die Behörde hatte Erzwingungshaft beantragt, um zwei Verpflichtungen des Vaters durchzusetzen: Es geht zum einen um die Anmeldung der Kinder in einer der genannten Schulen und zum anderen darum, dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder anschließend regelmäßig die Schule besuchen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Erzwingungshaft für die Dauer einer Woche nur angeordnet, um damit die Verpflichtung des Vaters durchzusetzen, seine Kinder an einer von den Eltern auszuwählenden Schulen anzumelden. Im Hinblick auf die dem Vater ferner auferlegte Verpflichtung, auch für den Schulbesuch seiner Kinder zu sorgen, lägen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Erzwingungshaft noch nicht vor. Denklogisch müsse er zunächst seine Kinder anmelden und erst wenn eine Anmeldung erfolgt sei, habe er für den Schulbesuch Sorge tragen. Die Beschwerde war daher, soweit es um die Durchsetzung des Schulbesuchs ging, teilweise erfolgreich.
Nun hat das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Es führt insbesondere aus, dass die grundlegende behördliche Verfügung, nämlich seine Kinder in einer der genannten Schulen anzumelden, nicht gegen das elterliche Erziehungsrecht verstoße. Der Vater könne sich nicht auf eine seiner Auffassung nach indoktrinäre schulische Sexualerziehung berufen. Zwar gehöre die Sexualerziehung in erster Linie zu dem natürlichen Erziehungsrecht der Eltern, der Staat sei jedoch auf Grund seines Erziehungs- und Bildungsauftrages berechtigt, Sexualkunde in der Schule zu lehren. Es sei davon auszugehen, dass die Schule sich bei der Unterrichtung an das staatliche Neutralitätsgebot halte, das natürliche Schamgefühl der Kinder achte und allgemein Rücksicht nehme auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen von Eltern und Kindern. Sollten diese Grenzen nicht eingehalten werden, könne die Schulaufsicht eingeschaltet oder gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
Das Gericht teilte auch nicht die Auffassung des Vaters, dass die schulische Unterrichtung seiner Kinder den Gottesbezug durch die Evolutionstheorie ersetze. Bei der Evolutionstheorie handele es sich nicht um eine Glaubensfrage, sondern um eine Theorie der biologischen Wissenschaft zur Erklärung entwicklungsgeschichtlicher Phänomene. Die Anordnung der Erzwingungshaft greife in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit des Art. 4 Absatz 1 GG und seines Erziehungsrechts aus Art. 6 Absatz 1 GG ein. Dagegen stehe aber die in Art. 7 GG verankerte Schulpflicht seiner Kinder. Im Wege der sog. praktischen Konkordanz müssten diese verfassungsrechtlichen Positionen gegeneinander abgewogen werden. Dem grundsätzlich zulässigen Eingriff in das Recht aus Art. 4 GG habe die Behörde Rechnung getragen. Dem Vater stehe es frei, seine Kinder auch an einer staatlich anerkannten oder staatlich genehmigten Ersatzschule anzumelden. Der Schulbesuch gefährde das Wohl seiner Kinder nicht. Das Amtsgericht habe im Beschluss vom 7. April 2004 im Gegenteil ausgeführt, dass das Wohl seiner Töchter dadurch gefährdet sei, dass sie trotz Schulpflicht keine Schule besuchten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.08.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des VG und OVG Hamburg
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