In dem verhandelten Fall war ein Autofahrer im November auf einer bewaldeten Bundesstraße in Bayern von der Fahrbahn abgekommen. Er fuhr mit seinem Pkw in eine langgestreckte, übersichtliche Kurve ein, als die Reifen plötzlich auf Glatteis durchdrehten und das Auto in eine Waldböschung rutschte. Vom Freistaat forderte der Mann, der bei dem Unfall verletzt wurde, später 10.000 Euro Schmerzensgeld. Schließlich habe der Winterdienst es morgens versäumt, die Unfallstelle auf Glatteis zu überprüfen, so seine Begründung. Da die hoheitliche Stelle der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, zog der Autofahrer vor Gericht.
Das OLG München wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch gemäß § 839 BGB in Verbindung mit den Art. 34 GG, 72 BayStrWG gegen den Beklagten. Eine Streupflichtverletzung liege nicht vor.
Bei dem Unfallort habe es nicht um eine besonders gefährliche Stelle im Sinne der Rechtsprechung gehandelt. Es könne daher die Frage offenbleiben, ob der Winterdienst des Beklagten am Morgen des Unfalltages die Unfallstelle auf Glätte beziehungsweise Glatteisgefahr überprüft habe. Die Räum- und Streupflicht werde wie jede Verkehrssicherungspflicht durch die wirtschaftliche Zumutbarkeit begrenzt.
Außerhalb geschlossener Ortschaften seien nur die für den Kfz-Verkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Dies seien solche Stellen, an denen Anlage oder Zustand der Straße die Bildung von Eis, Eisglätte oder seine Wirkung erhöhen und diese Verhältnisse für den Autofahrer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind, selbst wenn er mit erhöhter Sorgfalt und Aufmerksamkeit aufgrund der winterlichen Straßenverhältnisse fährt.
Das kennzeichnende Element für die Streupflicht bilde neben der objektiven Gefährlichkeit demnach das von der Gefahrenstelle ausgehende Überraschungsmoment für den Kraftfahrer. Bei der Straßenführung der B 472 entlang dem Nordhang des Blombergs durch den Wald liegt die Bildung von Glatteis nahe. Dabei könne die Vereisung an sonnigen Stellen fehlen und im Schatten erstmals oder erneut auftreten. Dies sei jedoch für jeden sorgsamen Kraftfahrer vorhersehbar.
Es sei eine Erfahrungstatsache, dass an Straßenstellen, die durch Wald, im Schatten von Bauwerken oder unter Brücken verlaufen und damit der Einwirkung von Sonne und Wind weniger als andere Straßenstellen ausgesetzt sind und deshalb die Feuchtigkeit länger halten, die Eisbildung größer ist und länger erhalten bleibe als an Straßenstellen, die der ungehinderten Sonnen- und Windeinwirkung unterliegen (BGH VersR 1960, 930; OLG Zweibrücken VersR 1979, 1039; OLG Köln DAR 1990, 346).
Eine sehr starke Häufung von Glatteisunfällen an einer Stelle könne allerdings darauf hindeuten, dass die dortige Verkehrssituation auch den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer überfordert. Hiervon könne aber keine Rede sein, wenn ein gut sichtbares Warnschild vor Glatteis warne.
Auf der B 472 hätten sich zwischen km 2,200 und km 3,900 von Dezember 1998 bis Dezember 2001 insgesamt 16 Unfälle ereignet, davon acht auf trockener Fahrbahn, vier auf nasser Fahrbahn, einer wegen Trunkenheit im Verkehr und drei wegen Glätte. Die letzte Zahl sei für eine vielbefahrene Straße im Übergangsgebiet zwischen Alpenvorland und Alpen durch ein Waldgebiet nicht auffallend, führte das OLG aus. Auf eine besonders gefährliche Stelle lasse sich daraus nicht schließen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.01.2011
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht München