21.11.2024
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Dokument-Nr. 4557

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Beschluss03.07.2007Oberlandesgericht Köln2 Ws 156/07
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Oberlandesgericht Köln Beschluss03.07.2007

Faires Verfahren auch für SS-Mann - ehemaliger Scherge bleibt freiOLG Köln lehnt Vollstreckung nieder­län­dischen Urteils in Deutschland ab

Das Oberlan­des­gericht Köln hat der Beschwerde eines 86-jährigen ehemaligen SS-Mannes stattgegeben und es abgelehnt, dass ein vor 58 Jahren in den Niederlanden wegen dreifachen Mordes verhängtes Urteil gegen diesen in Deutschland vollstreckt wird. Damit wurde eine anders lautende Entscheidung der Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Aachen vom 20.02.2007 aufgehoben, die die Verbüßung der Strafe in Deutschland genehmigt hatte. Der Strafsenat stützt seine Entscheidung wesentlich darauf, dass der Verurteilte im damaligen Strafverfahren vor dem Sonder­ge­richtshof Amsterdam nicht durch einen Pflicht­ver­teidiger vertreten wurde und auch im Nachhinein keine effektiven Rechts­schutz­mög­lich­keiten gegen seine Verurteilung in Abwesenheit gehabt habe.

Der heute bei Aachen in einem Altenheim lebende Rentner trat 1940 der Waffen-SS bei und wurde später zur "Germanischen SS" in den Niederlanden abkommandiert, wo er Mitglied des sog. "Sonderkommandos Feldmeyer" wurde. Dieses führte - zurückgehend auf einen Befehl Hitlers - unter dem Decknamen "Silbertanne" Vergel­tungs­ak­tionen gegen die niederländische Wider­stands­be­wegung durch. Als Mitglied des Sonderkommandos erschoss der Verurteilte im Jahr 1944 in Breda, Vorschooten und Wassenaar 3 Menschen, darunter einen Apotheker und einen Fahrradhändler. Wegen dieser von ihm selbst in Vernehmungen zugegebenen Taten wurde der Verurteilte, der sich zuvor auf Befehlsnotstand berufen hatte, am 18.10.1949 nach eintägiger Verhandlung durch den Sonder­ge­richtshof Amsterdam in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Todesstrafe wurde später nach nieder­län­dischem Recht in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Dem SS-Angehörigen war zuvor bereits im Jahre 1947 die Flucht aus dem Polizei­ge­wahrsam gelungen. In den 50-er Jahren konnte er eine bürgerliche Existenz in Deutschland aufbauen und arbeitete hier als Bergmann in der Aachener Region. Im Jahre 1980 beantragten die Niederlande erfolglos seine Auslieferung. Diese wurde abgelehnt, weil der - offiziell staatenlose - Betroffene möglicherweise durch seinen Kriegsdienst die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit erworben haben könne. Die in Deutschland geführten Ermittlungen wegen der Kriegs­ver­brechen wurden im Jahre 1984 durch die Zentralstelle des Landes Nordrhein-Westfalen für die Verfolgung natio­nal­so­zi­a­lis­tischer Massen­ver­brechen im Wesentlichen mit der Begründung eingestellt, die Taten seien als völkerrechtlich zulässige Repres­sal­maßnahme der deutschen Besatzung gerechtfertigt gewesen und der Verurteilte habe auf Befehl gehandelt. Das jetzige Verfahren geht schließlich auf einen Antrag des nieder­län­dischen Justiz­mi­nis­teriums vom 23.06.2003 zurück, mit dem um die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Deutschland nachgesucht wurde.

Der Rentner muss nach der Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts nicht mehr befürchten, die verhängte Haftstrafe noch antreten zu müssen. Zwar trat der Senat ausdrücklich der Auffassung der erstin­sta­nz­lichen Entscheidung bei, dass die Tötung der 3 Personen auch nach deutschem Recht als Mord strafbar sei. Weder seien die Taten durch das Völkerrecht als sog. Kriegs­re­pressalie gerechtfertigt gewesen noch könne sich der Verurteilte auf einen Befehlsnotstand berufen. Dennoch sei die Strafe nicht in Deutschland vollstreckbar, da die Entscheidung des Sonder­ge­richtshofes aus dem Jahre 1949 unter Verstoß gegen völkerrechtlich verbindliche Mindest­standards eines fairen Verfahrens zustande gekommen sei. Zu diesen Standards gehöre auch nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass ein Angeklagter, dem eine schwerwiegende Straftat vorgeworfen werde, durch einen Verteidiger vertreten werde, und zwar auch dann, wenn das Verfahren gegen einen flüchtigen Angeklagten in Abwesenheit geführt werde. Eine solche Verteidigung sei im damaligen Verfahren aber nicht gewährleistet gewesen. Ein Pflicht­ver­teidiger sei nicht beigeordnet worden, obwohl es um schwerwiegende Vorwürfe des Mordes und schwierige Fragen des Kriegs­straf­rechts gegangen sei. Die genannten Grundsätze müssen nach Auffassung des Senats auch für die Verfolgung von NS-Unrecht gelten. Er verwies darauf, dass in den "Nürnberger Prozessen" für den damals in Abwesenheit verurteilten Martin Bormann ebenfalls ein Verteidiger durch das Gericht bestellt worden sei. Im Übrigen habe der Verurteilte hier auch im Nachhinein keine effektive Möglichkeit gehabt, sich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen; der nach nieder­län­dischem Recht mögliche "Einspruch" gegen die Verurteilung habe insoweit nicht ausgereicht.

Der Senat bezeichnet es als unbefriedigend, dass der Verurteilte für seine von ihm eingeräumten und nicht gerecht­fer­tigten Taten strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, gleichwohl sei eine Vollstreckung des Urteils aus 1949 in Deutschland aus den genannten Gründen nicht möglich.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Köln vom 05.07.2007

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