Dokument-Nr. 795
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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss28.07.2005
Anhörung eines Strafgefangenen per Videokonferenz unzulässig
Die mündliche Anhörung des Verurteilten im Verfahren über die Aussetzung des Strafrestes erfordert die gleichzeitige persönliche Anwesenheit von Richter und Strafgefangenem; sie kann allenfalls mit Einverständnis des Verurteilten in der Form der Videokonferenz stattfinden
Dies hat jetzt der 3.Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden und damit auf eine Beschwerde eines Strafgefangenen einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mannheim vom Mai 2005 aufgehoben.
Der wegen Betruges seit Ende 2003 in Haft befindliche Strafgefangene hatte bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mannheim seine vorzeitige Entlassung zum sog. 2/3-Zeitpunkt beantragt (§ 57 Abs.1 StGB). Hierauf ordnete der Vorsitzende die mündliche Anhörung des Verurteilten „per Video“ an.
In der Justizvollzugsanstalt Mannheim ist seit kurzem ein Raum eingerichtet, in dem der Strafgefangene auf einem Monitor den in seinem Dienstzimmer bei Gericht vor einer Web-Cam sitzenden Richter sehen kann und umgekehrt der Richter über eine vor dem Strafgefangenen installierte Web-Cam den Strafgefangenen. Die Kommunikation zwischen Richter und Strafgefangenem ist über ein installiertes Mikrofon möglich. Eine technische Aufzeichnung des Gesprächs wird nicht gefertigt.
Seine Teilnahme an dem Termin zur „Anhörung per Video“ verweigerte der Strafgefangene jedoch und beantragte seine Vorführung vor den zuständigen Richter. Dies lehnte die Strafvollstreckungskammer ab und verwarf sein Gesuch auf vorzeitige Entlassung.
Der 3. Strafsenat hat diese Verfahrensweise nunmehr für unzulässig erklärt.
Die im Gesetz ausdrücklich vorgeschriebene mündliche Anhörung (§ 454 Abs. 1 Satz 3 StPO) erfordere nämlich die gleichzeitige persönliche Anwesenheit von Richter und Strafgefangenem; sie könne allenfalls mit Einverständnis des Strafgefangenen in der Form der Videokonferenz stattfinden.
Zweck der Gesetzesregelung sei es nämlich, dass sich der Richter vor der Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten verschaffen kann. Diese vom Gesetz geforderte Funktion vermöge die Anhörung per Videokonferenz nicht in der gleichen umfassenden Weise wie eine persönliche Anhörung erfüllen. Eine Anhörung per Videokonferenzschaltung könne nämlich nur einen eingeschränkten Eindruck von der Persönlichkeit des Verurteilten vermitteln. Auch eine Beeinträchtigung der Belange des Strafgefangenen sei nicht auszuschließen. Denn es liege nicht fern, dass die Situation der Videokonferenz mit ihren technischen Einrichtungen (Kameraauge, Mikrofon) bei Menschen Ängste auszulösen vermag, die sie befangen machen und dadurch in ihren Verteidigungsmöglichkeiten einschränken können. Ebenso könne die ungewohnte Form der Kommunikation mittels Videokonferenz geeignet sein, Hemmungen aufzubauen, weshalb der Strafgefangene in der Darstellung seiner Persönlichkeit behindert werden könne.
Es müsse deshalb der freien Entscheidung eines jeden Strafgefangenen überlassen bleiben, ob er vom Gericht persönlich angehört werden will oder ob er - wenn das Gericht eine Anhörung per Videokonferenz für ausreichend erachtet - sich damit einverstanden erklärt.
Die Strafvollstreckungskammer muss nunmehr den Strafgefangenen persönlich anhören und erneut über sein Gesuch auf vorzeitige Entlassung entscheiden.
Hinweis auf die Gesetzeslage:
Erläuterungen
StGB § 57 (Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe)
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3. der Verurteilte einwilligt.
Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. ...
StPO § 454
(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, dass vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn
1. die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer
zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2. der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a) bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b) bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3. der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 6, § 57 a Abs. 4 des Strafgesetzbuches. ....
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.08.2005
Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 29.07.2005
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