15.11.2024
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Dokument-Nr. 4079

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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil30.03.2007

Beein­träch­ti­gungen durch Pflegeheim: Senioren dürfen aus dem Fenster schauen - Nachbar muss dies entschä­di­gungslos hinnehmenOLG Karlsruhe weist Klage eines Pflegeheim-Nachbarn weitgehend ab

Einen Streit zwischen einem Betreiber eines Pflegeheims und eines Nachbarn hat das OLG Karlsruhe weitgehend zugunsten des Nachbar entschieden. Nachbar hat gewisse Belästigungen und Beeinträchtigen hinzunehmen.

Die Parteien sind Nachbarn. Ihre anein­an­der­gren­zenden Grundstücke liegen in der Innenstadt einer Großstadt an einer nicht unerheblich befahrenen Straße. Die Kläger nutzen ihr Haus als Geschäfts- und Mietshaus. Die Beklagte betreibt ein Pflegeheim, das sie kurz vor dem Grundstückskauf der Kläger errichtet hat. An der zum Garten der Kläger gerichteten Seite befinden sich 24 Zimmer mit Fenstern, drei an dieser Hausfront gelegene Balkone haben zur Grund­s­tücks­grenze einen Abstand von 2,40 m und zum Haus der Kläger einen Abstand von 5,50 m. Die Zufahrt zur Tiefgarage grenzt ebenfalls an das Grundstück der Kläger an. Von hier aus erfolgen Waren­lie­fe­rungen für das Pflegeheim.

Die Kläger sind der Auffassung, vom Pflegeheim gingen Beein­träch­ti­gungen aus, die sie nicht bzw. nicht entschä­di­gungslos hinzunehmen hätten. Sie würden durch die von den Heimbewohnern ausgehende Geräusche und Einblicke in ihre Geschäfts- und Privaträume gestört, auch durch den Lieferverkehr zum Grundstück und das regelmäßige oft verbotswidrige Parken von Lieferwagen, weshalb sie in 49 Fällen hätten Anzeige gegen Lieferanten erstatten müssen.

Das Landgericht hat die beklagte Betreiberin des Pflegeheims verurteilt, es zu unterlassen, sich zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr über die nahegelegene Rampe beliefern oder anfahren zu lassen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Kläger zum Oberlan­des­gericht Karlsruhe, mit der sie weiter erreichen wollten, dass sich die Beklagte auch tagsüber nicht mehr von Liefer­fahr­zeugen beliefern lässt, die in der Nähe ihres Anwesens halten oder parken, während der Belieferung oder Dienstleistung Motoren oder sonstige Aggregate laufen lassen, und dass die Beklagte verurteilt wird, an die Kläger Schadensersatz u.a. zum Ausgleich der vom Pflegeheim ausgehenden Beein­träch­tigung in Höhe von 100,00 Euro monatlich zu bezahlen, blieb ohne Erfolg.

Das Oberlan­des­gericht hat wie das Landgericht weitere Unterlassungs- und Entschä­di­gungs­ansprüche verneint. Grundsätzlich steht einem Grund­s­tücks­ei­gentümer gegen einen Störer in Bezug auf Lärm oder sonstige Immissionen ein Unter­las­sungs­an­spruch insoweit zu, als er diese nicht zu dulden hat. Zu dulden hat er Einwirkungen, die die Benutzung seines Grundstückes nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, wobei die Schwelle zur Wesentlichkeit nach dem Empfinden des verständigen Durch­schnitts­menschen zu bestimmen ist. Im hier zu entscheidenden Fall ist das in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz zum Ausdruck kommende gesell­schaftliche Anliegen zu berücksichtigen, hilfs- und pflege­be­dürftigen Menschen ein Leben frei von vermeidbaren Beschränkungen zu ermöglichen. Es führt dazu, dass im nachbarlichen Zusammenleben mit pflege­be­dürftigen Menschen ein erhöhtes Maß von Toleranz­be­reit­schaft zu fordern ist.

Bezüglich der vom Anlieferverkehr ausgehenden Belästigungen ist die Beklagte lediglich mittelbare Störerin. Die seitens der Kläger beanstandeten Beein­träch­ti­gungen in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 22.00 Uhr durch Lärm und Abgase der anliefernden LKWs sind nur als geringfügig anzusehen, da sie täglich nur Minuten in Anspruch nehmen und angesichts der Lage des Anwesens der Kläger an der befahrenen Straße nur wenig ins Gewicht fallen. Nachdem die Beklagte ihre Lieferanten durch Rundschreiben auf die Verpflichtung zur Respektierung des bestehenden Halteverbots hingewiesen hat und ihnen sogar mit Abbruch der Geschäfts­be­ziehung gedroht hat, hat sie auch das ihr Zumutbare zur Verhinderung künftigen ordnungs­widrigen Verhaltens der Anlieferer getan. Die Durchsetzung ordnungsgemäßen Verhaltens im Straßenverkehr ist im übrigen Sache der Ordnungs­be­hörden. Ein Entschä­di­gungs­an­spruch wegen vom Pflegeheim ausgehenden Beein­träch­ti­gungen würde voraussetzen, dass die zu duldenden Einwirkungen eine ortsübliche Benutzung des klägerischen Grundstücks oder dessen Ertrag unzumutbar beschränkten. Dies ist nicht der Fall. Die Kläger haben zwar die Auffassung vertreten, die Benutzung ihres Hauses sei insoweit unzumutbar beschränkt, als sie sich wie auf dem Präsen­tier­teller, "im Glashaus" und bei "Big Brother" vorkämen und damit in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt fühlten. Ihre Privatwohnung könne ohne Sichtschutz quasi nicht mehr genutzt werden und sich durch undurchsichtige Vorhänge oder Jalousien abzuschotten widerspreche ihnen. Im Garten könnten sie sich nicht unbeobachtet sonnen.

Die Notwendigkeit, sich vor unerwünschten Einblicken durch die Verwendung von Sichtschutz zu schützen, stellt jedoch keine Beschränkung der Nutzung von in inner­städ­tischen Gebieten mit geschlossener Bebauung gelegenen Gebäuden und Gärten dar. Hier gilt dies erst recht, weil der Bau mit zahlreichen zum Grundstück der Kläger weisenden Fenstern bereits vorhanden war, als die Kläger ihr Anwesen gekauft haben. Für ihre Behauptung, sie könnten die im Haus gelegene Wohnung nur zu einem unter dem ortsüblichen liegenden Mietzins vermieten, haben die Kläger keinen Beweis angetreten.

Auch ein Entschä­di­gungs­an­spruch im Hinblick auf die Falschparker steht den Klägern nicht zu, denn bei der Anzei­ge­n­er­stattung handelt es sich nicht um ein Geschäft der Beklagten, weil es nicht deren Aufgabe ist, die Einhaltung der Straßen­ver­kehrs­regeln durch ihre Anlieferer zu überwachen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 12.04.2007

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