24.11.2024
24.11.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 2228

Drucken
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil07.04.2006

Amtshaf­tungs­an­spruch wegen falscher Berechnung von Grundsicherung

Der schwer­be­hinderte erwachsene Kläger macht - vertreten durch seine Eltern als Betreuer - gegen den Landkreis Amtshaf­tungs­ansprüche geltend. Nachdem der Kläger bei dem Beklagten Leistungen nach dem Grund­si­che­rungs­gesetz geltend gemacht hatte, wurde bei der im Januar 2003 vorgenommenen Bedarfs­be­rechnung im Einklang mit der damaligen Verwal­tung­s­praxis das Kindergeld von monatlich 154,00 € als Einkommen des Klägers mit bedarfs­min­dernder Wirkung angerechnet, so dass ihm monatlich 172,10 €, ab 01.07.2003 wegen einer Erhöhung 176,15 € bewilligt und ausgezahlt wurden.

Im Juni/Juli 2003 ergingen die Grund­si­che­rungs­richt­linien des Landkreistages und des Städtetages Baden-Württemberg. Nach denen ist Kindergeld regelmäßig Einkommen des Kinder­geld­be­rech­tigten. Der beklagte Landkreis hat den Kläger bzw. dessen Eltern hierüber nicht informiert und eine den Grund­si­che­rungs­richt­linien entsprechende Bedarfs­be­rechnung - ohne Berück­sich­tigung des Kindergeldes als Einkommen - erst dem Bewil­li­gungs­be­scheid vom 01.07.2004 zugrunde gelegt. Mit diesem wurden dann monatliche Leistungen in Höhe von 330,15 € bewilligt.

Die Eltern des Klägers, denen die Richtlinien zuvor nicht bekannt gewesen waren, legten daraufhin noch im Juli 2004 Widerspruch ein. Die Wider­spruchs­stelle bedeutete ihnen, der Widerspruch sei verspätet und daher unzulässig, daraufhin nahm der zwischen­zeitlich beauftragte Anwalt der Eltern den Widerspruch zurück. Nunmehr macht der Kläger wegen Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden Amtspflicht Schadensersatz in Höhe von 1.848,00 € (monatlich 154,00 € für die Monate Juli 2003 bis Juni 2004) geltend.

Das Landgericht Offenburg hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des beklagten Landkreises zum Oberlan­des­gericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - blieb ohne Erfolg.

Der Beklagte war verpflichtet, die den Kläger betreffende Bedarfs­be­rechnung und dementsprechend seine Leistungen nach dem Grund­si­che­rungs­gesetz mit Wirkung ab Juli 2003 an die in den Grund­si­che­rungs­richt­linien enthaltene Anordnung anzupassen. Danach hätte das Kindergeld nicht angerechnet werden dürfen. Unmittelbar richtet sich die Richtlinie zwar an die Verwaltung, ihre Aufgabe ist es, den Beamten die Amtsausübung zu erleichtern und eine gleichmäßige und gerechte Behandlung der von ihnen erfassten Sachverhalte zu gewährleisten. Sie führen aber zu einer Selbstbindung der Verwaltung, was ihnen in der Praxis die gleiche Wirkung wie der Erlass eines formellen Gesetzes gibt und dazu führt, dass sie auch in der Frage der Dritt­be­zo­genheit wie Gesetze und Verordnungen zu behandeln sind. Die gegen das Gleich­be­hand­lungsgebot verstoßende Handhabung des Landkreises, die Richtlinie zunächst nur in Fällen, in denen es beantragt worden war oder in denen es zu einer Bearbeitung der Sache aus anderen Gründen kam, ansonsten aber erst fast ein Jahr nach Erlass der Richtlinie umzusetzen, widerspricht der Rechtslage und stellt daher eine Amtspflicht­ver­letzung dar.

Diese ist auch schuldhaft erfolgt, denn die Anweisung der Amtsleitung war rechtswidrig. Dass die Anordnung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleich­be­handlung darstellte, war für den anweisenden Beamten erkennbar. Hinter der Anordnung möglicherweise stehende fiskalische Überlegungen ändern daran ebenso wenig etwas, wie der Umstand, dass eine Überprüfung der zurückliegenden Leistungsfälle mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen wäre.

Der Kläger hat es auch nicht schuldhaft unterlassen, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, weil sich der Kläger gegen die Bewil­li­gungs­be­scheide gewandt und um deren Änderung gebeten hatte. Dass diese Widersprüche zurückgenommen wurden, schließt eine Ersatzpflicht nicht aus, weil die angefochtenen Bescheide der damaligen Rechtslage entsprochen hatten und ein Wider­spruchs­ver­fahren erfolglos gewesen wäre.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 12.04.2006

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil2228

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI