14.11.2024
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Dokument-Nr. 377

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Entscheidung10.01.2005Oberlandesgericht Karlsruhe1 W 152/04
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Oberlandesgericht Karlsruhe Entscheidung10.01.2005

Gezieltes Ausfiltern von E-Mails verletzt das Post- und BriefgeheimnisUrteil im Streit zwischen Hochschule und Ex-Mitarbeiter

Dies hat jetzt der 1. Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Karlsruhe entschieden und damit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung eines ehemals bei einer Hochschule in Baden-Württemberg tätigen wissen­schaft­lichen Mitarbeiters stattgegeben.

Nach dessen Ausscheiden im Jahre 1998 hatte er über die „Mail-Server“ der Hochschule weiterhin mit dort tätigen Dozenten, Wissen­schaftlern und Freunden Kontakt gehalten und so z.B. auch über Vereine weitergeleitete Nachrichten Dritter auf seinem Privatrechner erhalten. Im Herbst 2003 wurde ihm seitens der Hochschule die Benutzung der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ein­rich­tungen untersagt, gleichzeitig wurden alle an ihn gerichteten und oder von ihm stammenden Nachrichten, in welchen sein Name im Adressenfeld vorkam, technisch ausgefiltert, ohne dass andere Absender oder Empfänger hiervon unterrichtet worden waren.

Die Staats­an­walt­schaft hat im Januar 2004 die Einleitung eines Ermitt­lungs­ver­fahrens wegen Verdachts der Verletzung des Post- und Brief­ge­heim­nisses nach § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB abgelehnt (§ 152 Abs. 2 StPO), weil das Unterdrücken derartiger Sendungen nur bei Unternehmen strafbar sei und eine Hochschule als Körperschaft öffentlichen Rechts nicht als solches angesehen werden könne.

Anders nun der 1. Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Karlsruhe.

Der Begriff des Unternehmens i.S.v. § 206 StGB sei weit auszulegen, denn nur ein solches Verständnis könne dem Gesetzeszweck gerecht werden, das subjektive Recht des Einzelnen auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs und seinen Anspruch auf Übermittlung von Sendungen zu schützen. Als Unternehmen sei danach jede Betätigung im geschäftlichen Verkehr anzusehen, die nicht ausschließlich hoheitlich erfolge oder auf eine rein private Tätigkeit beschränkt sei. Auf eine Gewinn­er­zie­lungs­absicht komme es dabei nicht an.

Zwar handele es sich bei einer staatlichen Hochschule um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, diese sei vorliegend aber nicht ausschließlich zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben tätig geworden, sondern habe ihre Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­anlage unter­schied­lichen Nutzergruppen, wie z.B. Mitarbeitern, Vereinen und außen-stehenden Dritten, zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grund sei eine Abgrenzung zwischen dienstlichen und wissen­schaft­lichen Belangen einerseits und privaten und wirtschaft­lichen Zwecken andererseits nicht möglich. Wegen der bestehenden vielfältigen Verflechtungen und wirtschaft­lichen Interessen habe die Hochschule deshalb vorliegend am geschäftlichen Verkehr teilgenommen und sei nicht aus-schließlich hoheitlich tätig geworden.

Der 1. Strafsenat hat deshalb die Aufnahme von Ermittlungen durch die Staats-anwaltschaft angeordnet. Diese muss nun unter anderem klären, ob das Ausfiltern von „E-Mails“ unbefugt war oder hierfür ein Recht­fer­ti­gungsgrund, wie etwa die Befürchtung der Infiltration von Viren, zur Verfügung stand.

Hinweis:

Soweit ersichtlich, handelt es sich um die erste oberge­richtliche Entscheidung zur Strafbarkeit des Ausfiltern von E-Mails.

Hinweis auf die Rechtslage:

Erläuterungen
StGB § 206 Verletzung des Post- oder Fernmel­de­ge­heim­nisses

(1) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die dem Post- oder Fernmel­de­ge­heimnis unterliegen und die ihm als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens bekannt geworden sind, das geschäftsmäßig Post- oder Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­dienste erbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Inhaber oder Beschäftigter eines in Absatz 1 bezeichneten Unternehmens unbefugt

1. eine Sendung, die einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraut worden und verschlossen ist, öffnet oder sich von ihrem Inhalt ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft,

2. eine einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraute Sendung unterdrückt oder

3. eine der in Absatz 1 oder in Nummer 1 oder 2 bezeichneten Handlungen gestattet oder fördert.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Personen, die

1. Aufgaben der Aufsicht über ein in Absatz 1 bezeichnetes Unternehmen wahrnehmen,

2. von einem solchen Unternehmen oder mit dessen Ermächtigung mit dem Erbringen von Post- oder Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­diensten betraut sind oder

3. mit der Herstellung einer dem Betrieb eines solchen Unternehmens dienenden Anlage oder mit Arbeiten daran betraut sind.

(4) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die ihm als außerhalb des Post- oder Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­be­reichs tätigem Amtsträger auf Grund eines befugten oder unbefugten Eingriffs in das Post- oder Fernmel­de­ge­heimnis bekanntgeworden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Dem Postgeheimnis unterliegen die näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter Personen sowie der Inhalt von Postsendungen. Dem Fernmel­de­ge­heimnis unterliegen der Inhalt der Telekom­mu­ni­kation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmel­de­ge­heimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbin­dungs­versuche.

StPO § 172 (Klage­er­zwin­gungs­ver­fahren)

(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staats­an­walt­schaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staats­an­walt­schaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.

(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staats­an­walt­schaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staats­an­walt­schaft nach § 153 Abs. 1, § 153 a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153 b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153 c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154 b und 154c.

(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozess­kos­tenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtss­trei­tig­keiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlan­des­gericht zuständig. § 120 des Gerichts­ver­fas­sungs­ge­setzes ist sinngemäß anzuwenden.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe

der Leitsatz

1.

Im Klage­er­zwin­gungs­ver­fahren kann die Staats­an­walt­schaft durch eine gerichtliche Entscheidung zur Aufnahme von Ermittlungen aufgefordert werden, wenn sie eine Strafbarkeit aus unzutreffenden rechtlichen Gründen verneint (Fortführung vom Senat, Die Justiz 2003, 270 ff.).

2.

a. Der Begriff des Unternehmens i.S.v. § 206 StGB ist weit auszulegen. Hierunter ist jede Betätigung im geschäftlichen Verkehr anzusehen, die nicht ausschließlich hoheitlich erfolgt oder auf eine private Tätigkeit beschränkt ist.

b. Stellt eine Hochschule ihre Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ein­rich­tungen zur Versendung und Empfang elektronischer Post (E-Mail) ihren Mitarbeitern und anderen Nutzergruppen auch für private und wirtschaftliche Zwecke zur Verfügung, so wird sie damit außerhalb ihres hoheitlichen Aufga­ben­ge­bietes tätig und ist als Unternehmen i.S.v. § 206 StGB anzusehen.

3.

a. Dem Tatbe­stands­merkmal "unbefugt" kommt in § 206 StGB eine Doppelfunktion zu. Ein Einverständnis schließt bereits die Tatbe­stands­mä­ßigkeit des § 206 StGB aus, im übrigen handelt es sich um ein allgemeines Rechts­wid­rig­keits­merkmal.

b. Als Recht­fer­ti­gungs­gründe für Eingriffe in das Post- und Fernmel­de­ge­heimnis kommen Erlaubnissätze in betracht, die in einer gesetzlichen Vorschrift, d.h. in einem formellen Gesetz oder einer Rechts­ver­ordnung niedergelegt sind, und die sich ausdrücklich auf Postsendungen, den Postverkehr oder Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­vorgänge beziehen. Auch ein Rückgriff auf allgemeine Recht­fer­ti­gungs­gründe ist möglich, so dass das technische Herausfiltern einer E-Mail gerechtfertigt sein kann, wenn ansonsten Störungen oder Schäden der Telekom­mu­ni­kations- und Daten­ver­a­r­bei­tungs­system eintreten können.

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