18.10.2024
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Dokument-Nr. 33862

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Beschluss17.04.2023Oberlandesgericht HammIII-1 Vollz(Ws) 551/22; III-1 Vollz(Ws) 92/23
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss17.04.2023

Zu den notwendigen Abwägungen und Voraussetzungen für die Fesselung von Strafgefangenen bei Trans­port­fahrtenKampfsportler durfte an den Füßen gefesselt werden

Der unter anderem für Angelegenheiten des Strafvollzugs landesweit zuständige 1. Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Hamm hat in zwei Verfahren eines Bochumer Strafgefangenen die rechtlichen Anforderungen für die Fesselung von Strafgefangenen bei Transporten klargestellt und die Fesselung des Betroffenen in beiden Fällen für rechtmäßig erklärt.

Der Betroffene ist Kampfsportler mit erheblicher Wettkamp­f­er­fahrung. Er verbüßt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren wegen sexueller Nötigung in der Justiz­voll­zugs­anstalt Bochum. Bei Trans­port­fahrten im Mai und Juni 2022 wurde er auf Anordnung der Vollzugsanstalt an den Füßen gefesselt. Hiergegen hat er jeweils eine gerichtliche Entscheidung des Landgerichts Bochum herbeigeführt, auf die zwei Rechts­be­schwerden zum Oberlan­des­gericht Hamm folgten. Diese Rechts­be­schwerden hat der 1. Strafsenat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und hierüber in der Sache entschieden. Die Anträge des Betroffenen auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit seiner Fesselung sind ohne Erfolg geblieben.

Im Mai 2022 wurde der Betroffene nach einem Arbeitsunfall zur weiteren Abklärung per Kranken­transport zu einem externen Arzt gebracht. Bei der Hin- und Rückfahrt war er an den Füßen gefesselt (die Fesselung während des Aufenthaltes in der externen Arztpraxis war nicht mehr Gegenstand des Verfahrens). Dabei hat die Vollzugsanstalt darauf abgestellt, dass der Betroffene als erfahrender Kampfsportler über Kenntnisse und Fertigkeiten der körperlichen Gewaltanwendung verfügt, eine tatsächliche gesundheitliche Einschränkung seiner Beweglichkeit nicht feststand und sein Verhalten von den Bediensteten als unauthentisch, unterschwellig drohend und nicht mitar­beits­bereit empfunden wurde. Diese Ermes­sen­s­er­wä­gungen sind nach der Entscheidung des Strafsenats ausreichend zur Begründung der Fesselung bei den Transporten.

Im Juni 2022 wurde der Betroffene zu einer gerichtlichen Anhörung zum Landgericht Bochum und zurück gebracht. Auch bei diesen Trans­port­fahrten war er an den Füßen gefesselt. Die Vollzugsanstalt hat dabei erwogen, dass der Betroffene, der sich als Justizopfer sieht, vollzugs­feindliche Tendenzen erkennen lasse und hat seine körperlichen Fähigkeiten als erfahrener Kampfsportler einerseits und die konkrete Art der Fesselung unter Begleitung zweier bewaffneter Bediensteter andererseits bei der Entscheidung berücksichtigt. Auch diese Erwägungen sind nach der Entscheidung des 1. Strafsenats nicht zu beanstanden.

Aufgrund der grundrechtlich geschützten körperlichen Bewegungs­freiheit bestehen rechtlich besondere Anforderungen für Fesselungen auch bei Strafgefangenen. Dabei können Betroffene die Rechtmäßigkeit einer Fesselung auch noch im Nachhinein gerichtlich überprüfen lassen.

In rechtlicher Hinsicht ist der Senat jeweils von seiner ständigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für besondere Siche­rungs­maß­nahmen wie Fesselungen ausgegangen, die sich aus § 69 Straf­voll­zugs­gesetz NRW ergeben. In der Vorschrift sind Anforderungen für besondere Siche­rungs­maß­nahmen im Allgemeinen (Absatz 1) und in besonderen Situationen wie Ausführungen, Vorführungen oder Transporten (Absatz 9) geregelt. In jedem Fall bedarf es nach der gefestigten Rechtsprechung des 1. Strafsenats und der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einer individuellen Einzel­fa­ll­prüfung. Während Fesselungen an sich eine im Einzelfall durch konkrete Tatsachen begründete erhöhte Fluchtgefahr voraussetzen, sind sie bei Ausführungen, Vorführungen und Transporten bereits dann zulässig, wenn die Beaufsichtigung nicht ausreicht, eine Entweichung zu verhindern. In diesen Situationen besteht typischerweise aufgrund der äußeren Umstände eine erhöhte Gefahr der Entweichung, so dass eine Fesselung bereits dann zulässig ist, wenn die Gefahr der Entweichung nach den Umständen des Einzelfalles nicht fernliegt. Dabei sind namentlich das Vorverhalten des Gefangenen in der Haft, sein Gesund­heits­zustand, sein Alter und der Ablauf vorangegangener Ausführungen zu berücksichtigen, ohne dass diese Aufzählung abschließend wäre. Diese Umstände sind einzel­fa­ll­bezogen zu prüfen, ohne dass eine gesetzliche Vermutung ausreichender Umstände zugunsten einer Fesselung besteht.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm, ra-online (pm/pt)

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