21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 17279

Drucken
Beschluss07.08.2013Oberlandesgericht Hamm3 U 71/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • K&R 2014, 120Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2014, Seite: 120
  • MMR 2014, 271Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2014, Seite: 271
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Hamm Beschluss07.08.2013

YouTube muss identi­fi­zierende Berich­t­er­stattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung nicht unterbindenBetroffenen steht bei öffentlichem Informations­interesse kein Löschungs­an­spruch gegen den Betreiber der Inter­net­plattform YouTube zu

Das öffentliche Informations­interesse kann eine identi­fi­zierende Berich­t­er­stattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung durch auf YouTube hochgeladene Videos rechtfertigen. Dem Betroffenen steht dann kein Löschungs­an­spruch gegen den Betreiber der Inter­net­plattform YouTube zu. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit die erstin­sta­nzliche Entscheidung des Landgerichts Münster.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im November 2008 verursachte der mit diplomatischer Immunität in Russland als Lehrer arbeitende Kläger in Moskau einen Verkehrsunfall, bei dem zwei russische Studenten getötet wurden. Aufgrund des Diplo­ma­ten­status des Klägers wurde die Tat in Russland nicht verfolgt. Der Kläger konnte ohne Sanktion russischer Behörden nach Deutschland zurückkehren. In Deutschland wurde der Kläger für diese Tat im Jahre 2009 zu einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung, einer Geldbuße von 5.000 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.

Unbekannte Nutzer laden Videos über den Unfall auf Inter­net­plattform YouTube hoch

Die Tat und ihre juristische Aufarbeitung waren wiederholt Gegenstand russischer Presseberichte. Unbekannte Nutzer thematisierten sie in Videos und luden diese auf die von der Beklagten betriebene Inter­net­plattform YouTube hoch. Die Videos zeigen Berichte in russischer Spare mit deutschen Untertiteln. Dabei enthalten sie u.a. ein Foto, nennen den damaligen Namen des Klägers und eine frühere Adresse. Die vom Kläger verlangte Löschung aller Videos hat die Beklagte abgelehnt.

Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­rechts ist nicht widerrechtlich

Das Oberlan­des­ge­richts Hamm hat der Beklagten Recht gegeben und einen Löschungs­an­spruch des Klägers verneint. Durch die Berichterstattung unter namentlicher Benennung und bildlicher Darstellung werde der Kläger in seiner Beziehung zur Umwelt (Sozialsphäre) betroffen, in der er als unver­ant­wort­licher Verkehrs­teil­nehmer negativ dargestellt werde. Diese Beein­träch­tigung seines Persön­lich­keits­rechts sei aber nicht widerrechtlich. Das folge aus einer Güter- und Inter­es­se­n­ab­wägung zwischen den Rechten und Interessen der beteiligten Parteien.

Täter darf im Rahmen aktueller Berich­t­er­stat­tungen über Ereignisse der Zeitgeschichte namentlich benannt werden

Bei einer identi­fi­zie­renden Berich­t­er­stattung über Straftaten seien das Anony­mi­täts­in­teresse des Täters und sein Recht auf Resozi­a­li­sierung berührt. Für den Kläger spreche insoweit, dass das Geschehen nach dem Ablauf der Bewährungszeit aus seiner straf­recht­lichen Verurteilung mittlerweile über zwei Jahre abgeschlossen sei. Zulasten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass er die Berich­t­er­stattung durch sein eigenes Verhalten hervorgerufen habe. Unstreitig habe er eine Straftat begangen. Dann müsse er neben der straf­recht­lichen Sanktion hinnehmen, dass sich die Öffentlichkeit mit der Tat ausein­an­dersetze. Insoweit sei zugunsten der Beklagten das öffentliche Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse zu beachten. Dieses überwiege grundsätzlich bei einer aktuellen Berich­t­er­stattung. Im Fall des Klägers seien die beanstandeten YouTube-Videos spätestens Anfang 2010 auf die Inter­net­plattform hochgeladen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Fall noch aktuell gewesen. An das Strafverfahren habe sich seinerzeit ein medial beachteter Zivilprozess angeschlossen. Im Übrigen stelle die Tat kein geringes Vergehen dar, weil zwei Menschen zu Tode gekommen seien. Sie sei ein Ereignis der Zeitgeschichte, bei dem der Täter im Rahmen einer aktuellen Berich­t­er­stattung namentlich benannt werden könne.

Erhöhtes Vertrauen in inhaltliche Richtigkeit bei Laien-Videos nicht gegeben

Gegen die Rechtmäßigkeit der Berich­t­er­stattung spreche auch nicht, dass der Kläger behaupte, die Videos gäben ein unwahres Tatgeschehen wieder, weil suggeriert werde, er sei betrunken gefahren. Zwar müsse eine Berich­t­er­stattung mit unwahren Tatsa­chen­be­haup­tungen nicht hingenommen werden. Im vorliegenden Fall müsse der Kläger die streitige Behauptung aber als wahr gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht bewiesen sei. Die hochgeladenen Videos stammten von beliebigen Dritten und würden nicht überprüft. Im Unterschied zu Presseberichten gebe es bei den von Laien erstellten Videos kein erhöhtes Vertrauen in ihre inhaltliche Richtigkeit. Daraus folge das so genannte Laienprinzip, auf das sich auch die Beklagte stützen könne. Befasse sich ein Laie im einem Video mit einer die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheit, könne er sich hinsichtlich der mit dem Video verbreiteten Tatsa­chen­be­haup­tungen auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Er müsse nicht beweisen, dass die Tatsachen wahr, sondern nur darlegen, dass sie sorgfältig recherchiert seien. Diesen Anforderungen sei im vorliegenden Fall genügt worden, weil die den Videos zugrunde liegende russische Presse­be­rich­t­er­stattung von einer Trunken­heitsfahrt ausgehe und der Kläger dieser Berich­t­er­stattung auch nicht widersprochen habe.

Berichte dürfen auch in Online-Archiven weiter zum Abruf bereitgehalten werden

Die Berich­t­er­stattung sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie noch im Jahre 2012 bei YouTube zu sehen sei. Mit zeitlicher Distanz zur Straftat nehme zwar das Interesse des Täters zu, mit seiner Tat nicht mehr konfrontiert zu werden. Jedoch bestehe auch ein Interesse der Öffentlichkeit, geschichtliche Ereignisse von besonderer Bedeutung recherchieren zu können. Soweit die Berich­t­er­stattung bei ihrer Veröf­fent­lichung rechtmäßig gewesen sei, dürften die Berichte auch in Online-Archiven weiter zum Abruf bereitgehalten werden, wenn das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls überwiege. Letzteres treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die Berich­t­er­stattung sei ausdrücklich als Altmeldung erkennbar. Der Resozi­a­li­sierung des Klägers stehe sie nicht entgegen, weil nur ältere Fotografien verwandt worden seien und der Kläger bereits vor Klageerhebung seinen Namen geändert habe.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss17279

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI