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- Landgericht Wiesbaden, Urteil08.03.2019, 7 O 8/19
Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil12.02.2020
Umdrehen zum Kind auf dem Rücksitz während der Fahrt ist grob fahrlässigAutovermietung darf bei grober Fahrlässigkeit Haftungsfreistellungsverpflichtung kürzen
Das vollständige Umdrehen während der Fahrt auf der Autobahn im stockenden Verkehr zu einem auf dem rechten Rücksitz befindlichen achtjährigen Kind ist grob fahrlässig. Es stellt eine "einfachste ganz naheliegende Überlegung" dar, dass ein Kraftfahrer die vor ihm befindliche Fahrspur beobachten muss, um möglicherweise in hohem Maße gefährliche Situationen zu vermeiden. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Der Beklagte des zugrunde liegenden Falls mietete bei der Klägerin ein Auto. Die Parteien vereinbarten eine Haftungsfreistellung zu Gunsten des Beklagten für selbstverschuldete Unfälle mit einer Selbstbeteiligung von 1.050 Euro pro Schadensfall. Im Falle grob fahrlässiger Herbeiführung eines Schadens ist die Klägerin berechtigt, ihre Leistungsverpflichtung zur Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Die Parteien streiten über dieses Kürzungsrecht. Der Beklagte befuhr die A5 in Richtung Frankfurt bei stockendem Verkehr mit 50 bis 60 km/h. Auf dem Rücksitz saßen seine damals 8 bzw. 9 Jahre alten Söhne. Bei einem kurzen Schulterblick anlässlich eines Spurwechsels nahm der Beklagte wahr, dass sein rechts hinter ihm sitzender 8-jähriger Sohn einen Gegenstand in der Hand hielt. Da er den Gegenstand zunächst nicht identifizieren konnte und für gefährlich hielt, drehte er sich nach Beendigung des Fahrspurwechsels vollständig nach hinten zu seinem Sohn auf der Rückbank um. Das vor ihm liegende Verkehrsgeschehen konnte er nicht mehr wahrnehmen. Er fuhr auf ein vor ihm fahrendes Motorrad auf, da er nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, und verursachte am gemieteten Auto einen Sachschaden über 10.000 Euro.
Klägerin verlangt Erstattung des gesamten Schadens
Der Beklagte entrichtete seine Selbstbeteiligung. Die Klägerin nahm den Beklagten nunmehr anteilig (50 % in der Berufung) auf Erstattung des darüberhinausgehenden Schadens in Anspruch. Das Landgericht Wiesbaden wies die Klage ab, da lediglich ein Augenblicksversagen vorliege.
Autofahrer muss auch und gerade bei stockendem Verkehr vor ihm befindliche Fahrzeuge ständig beobachten
Auf die hiergegen eingelegte Berufung hin sprach das Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Klägerin den begehrten Schadensersatz auf Basis eines 50 %-igen Ausgleichs zu. Die Haftung des Beklagten für den von ihm verursachten Unfall sei nicht auf den vertraglich vereinbarten Selbstbehalt in Höhe von 1.050 Euro beschränkt. Der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verursacht, so dass die Klägerin ihre Haftungsfreistellungsverpflichtung kürzen könne. Durch das Umdrehen nach rechts hinten sei es dem Beklagten unmöglich gewesen, das vor ihm befindliche Verkehrsgeschehen zu beobachten und hierauf gegebenenfalls zu reagieren. Auch und gerade bei stockendem Verkehr müsse der Fahrer die vor ihm befindlichen Fahrzeuge ständig beobachten. Tatsächlich habe der Beklagte jedoch seine Aufmerksamkeit während der Fahrt seinem auf der Rückbank befindlichen Kind zugewandt. Dass dies unter den gegebenen Umständen zu in hohem Maße gefährlichen Verkehrssituationen führen könne, müsse jedem Fahrer einleuchten, so das Oberlandesgericht. Die vor einem befindliche Fahrspur zu beobachten, stelle eine einfache, ganz naheliegende Überlegung dar.
Das Verhalten sei auch nicht als reflexartiges Augenblicksversagen zu werten. Vielmehr habe sich der Beklagte nach dem Erkennen eines Gegenstands in der Hand seines Sohnes zunächst wieder nach vorne gewandt und den Spurwechsel vollendet.
Fahrer hätte auch ohne Blickkontakt zum Sohn unmittelbare Anweisungen geben können
Gegen die besonders schwere Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt spreche auch nicht, dass der Beklagte befürchtete, sein Sohn habe einen gefährlichen Gegenstand, möglicherweise ein Messer in der Hand. Das Umwenden im Fahrzeug sei bereits nicht geeignet gewesen, eine solche Gefahr zu bannen. Der Beklagte habe vielmehr den unmittelbar betroffenen Sohn oder aber seinen anderen Sohn befragen können. Auch ohne Blickkontakt hätte er dann unmittelbare Anweisungen geben können, wie sie sich zu verhalten hätten, bis er gegebenenfalls eine sichere Haltemöglichkeit erreicht hat.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.03.2020
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)
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