18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 31334

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Urteil30.12.2021Oberlandesgericht Frankfurt am Main2 U 28/21
Vorinstanz:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil22.01.2021, 2-13 O 163/13
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil30.12.2021

90.000 € Schmerzensgeld nach Verkehrsunfall mit nicht verkehrs­si­cheren MietwagenKein Haftungs­aus­schluss bei Verletzungen von Kardinalpflicht

Die verschulden­sunabhängige Garantiehaftung des Vermieters für anfängliche Mängel der Mietsache kann für die Verletzung von Kardi­na­l­pflichten nicht durch Allgemeine Geschäfts­bedingungen ausgeschlossen werden. Zu diesen Kardi­na­l­pflichten gehört beim Mietwa­gen­vertrag die Überlassung eines Fahrzeugs, dessen technischer Zustand das sichere Fahren insbesondere durch funktionsfähige Lenkung und Bremsen gewährleistet. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) verurteilte das verklagte Miet­wagen­unternehmen u.a. zur Zahlung eines Schmer­zens­geldes von 90.000 €, da der Mietwagen nicht verkehrssicher gewesen ist und die klagende Mieterin schwerste Verletzungen bei einem Verkehrsunfall mit diesem Fahrzeug erlitten hatte.

Die Beklagte betrieb eine gewerbliche Autovermietung. Als gewerbliche Stammkundin mietete die Klägerin bei der Beklagten im Herbst 2010 für eine Woche ein Fahrzeug für eine Fahrt von Frankfurt nach Berlin und zurück nutzte. Gemäß Ziff. 8 der Mietver­trags­be­din­gungen haftete die Beklagte für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit der Mieter nur bei grobem Verschulden oder fahrlässigen Pflicht­ver­let­zungen. Auf dem Hinweg nach Berlin informierte die Klägerin die Beklagte, dass sie Probleme habe, in den zweiten Gang zu schalten. Auf der Rückfahrt geriet das Fahrzeug - während die Klägerin versuchte, die geöffnete Seitenscheibe hochzukurbeln und hierzu ihre linke Hand vom Steuer nahm - plötzlich ins Schleudern. Gegenlenken war nicht möglich. Das Fahrzeug schleuderte weiter, schaukelte sich auf, kippte nach links und rutschte über die linke Seite über den Fahrbahnrand hinaus in eine Grünfläche.

Klägerin erlitt durch Unfall schwerste Verletzungen

Beim Umkippen des Mietfahrzeugs geriet der linke Arm der Klägerin durch das Fenster und wurde abgetrennt. Die Klägerin erlitt durch den Unfall schwerste Verletzungen. Eine Replantation des Armes war nicht möglich. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld i.H.v. 120.000 €, eine Schmer­zens­geldrente und die Feststellung der Einstands­pflicht für zukünftige Schäden wegen des Verkehrsunfalls.

Anspruch auf Schadensersatz wegen mangelhaftet Fahrzeug

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte beim OLG überwiegend Erfolg. Die Klägerin könne Schadensersatz verlangen, da das gemietete Fahrzeug mangelhaft gewesen sei, stellte das OLG fest. Im Kardangelenk der unteren Lenksäule sei ein Lager bereits bei Fertigung nicht richtig verbaut worden. Gemäß den Ausführungen des Sachver­ständigen sei damit das Fahrzeug von Anfang an „prinzipiell nicht verkehrssicher“ gewesen. Das Kreuzgelenk habe sich während der gesamten Laufleistung aus der Lageraufnahme heraus­ge­ar­beitet und sei dann plötzlich während der Fahrt der Klägerin heraus­ge­sprungen.

Kein Haftungs­aus­schluss bei Verletzungen von Kardinalpflicht

Für diesen von der Beklagten nicht verschuldeten Mangel des Fahrzeugs hafte die Beklagte, führte das OLG weiter aus. Der Unfall sei durch den Mangel verursacht worden. Die Beklagte könne sich hier nicht auf den vereinbarten Haftungsausschluss für unverschuldete Schäden berufen. Kraft Gesetzes (§ 536 a Abs. 1 BGB) hafte der Vermieter auch für unverschuldete Mängel der Mietsache, soweit sie bereits bei Vertragsschluss bestanden. Diese verschul­den­su­n­ab­hängige gesetzliche Haftung könne zwar grundsätzlich durch Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen ausgeschlossen werden. Dies gelte aber nicht, wenn sich der Haftungs­aus­schluss auf Schäden im Zusammenhang mit der Verletzung einer sog. Kardinalpflicht, also einer wesentlichen Pflicht, des Vermieters beziehe. Zu diesen Kardi­na­l­pflichten gehöre es, ein verkehrs­si­cheres Fahrzeug zu vermieten, bei dem insbesondere Lenkung und Bremsen funktionsfähig seien. Der Mieter würde unangemessen entgegen Treu und Glauben benachteiligt, wenn die Klausel auch Schäden aus der Verletzung derartiger im Gegen­sei­tig­keits­ver­hältnis stehenden Haupt­leis­tungs­pflichten des Vermieters umfassen würde.

Verkehr­s­tüch­tigkeit muss gewährleistet sein

Den typischen Vertragszweck prägende Pflichten dürften nicht durch einen Haftungs­aus­schluss ausgehöhlt werden. Das Fahren im Straßenverkehr mit hoher Geschwindigkeit begründe stets eine latente erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Insassen. Ein Mieter müsse sich darauf verlassen können, dass das ihm anvertraute Fahrzeug verkehrstüchtig und frei von solchen Mängeln, die eine erhebliche Gefahr für ihn begründen könnten. Der Klägerin stehe unter Berück­sich­tigung der hier vorliegenden prägenden Einzel­fa­l­lum­stände ein Schmerzensgeld von 90.000 € sowie eine monatliche Schmer­zens­geldrente von 160,00 € zu. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde kann die Beklagte die Zulassung der Revision beim Bundes­ge­richtshof beantragen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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