18.10.2024
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Dokument-Nr. 31489

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Urteil08.02.2022Oberlandesgericht Frankfurt am Main2 Ss 164/21
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil08.02.2022

Polemische und überspitzte Äußerungen eines Evolu­ti­o­ns­biologen zur „Ehe für alle“ nicht strafbarÄußerung durch Meinungs­freiheit gedeckt

Die Abgrenzung zwischen Tatsa­chen­be­hauptung und Meinung­s­äu­ßerung erfolgt unter Berück­sich­tigung des Gesamtkontextes einer Äußerung. Die in einem auf einem Onlineportal veröf­fent­lichten Interview eines Evolu­ti­o­ns­biologen getätigten Äußerungen zur vom Bundestag beschlossenen Ehe für alle und einem möglichen Adoptionsrecht für gleich­geschlechtliche Ehen, die sowohl tatsächliche als auch wertende Bestandteile enthalten, lassen sich nicht voneinander trennen, ohne dass der Sinn der Äußerung verfälscht wird. Die Äußerung ist im Interesse eines wirksamen Grund­rechts­schutzes insgesamt als Meinung­s­äu­ßerung anzusehen. Mit der Bezugnahme auf „lesbische Frauen“ oder „homosexuelle Männer“ wird eine unüberschaubare Gruppe angesprochen, so dass eine solche Äußerung nicht auf die persönliche Ehre jedes einzelnen Betroffenen durchschlägt. Das hat das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) entschieden und die Revision der Staats­an­walt­schaft gegen das Urteil des LG Kassel verworfen.

Die Staats­an­walt­schaft Kassel hatte den Angeklagten - einen früheren Kasseler Hochschul­pro­fessor für Pflan­zen­phy­siologie und Evolu­ti­o­ns­biologie - wegen seiner in einem auf einem Onlineportal im Rahmen eines Interviews veröf­fent­lichten Äußerungen zur „Ehe für alle“ und einem möglichen Adoptionsrecht für gleich­ge­schlechtliche Paare an geklagt. Das Interview stand im Kontext der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Einführung der „Ehe für alle“. Gegenstand der Anzeige war u.a. die Bezeichnung homosexueller Paare als „a-sexuelle Eroti­k­ver­ei­ni­gungen“ und die im Zusammenhang mit dem Adoptionsrecht ausgesprochene Warnung vor einem möglichen „Horror- Kinderschände -Szenario“. Diverse Anzei­ge­n­er­statter fühlten sich durch die im Interview getätigten Äußerungen des Angeklagten beleidigt. Das Landgericht Kassel hatte die Äußerungen insgesamt als Meinung­s­äu­ßerung gewertet und ihn vom Vorwurf der Beleidigung, der üblen Nachrede und Volksverhetzung freigesprochen.

Zwar polemische und überspitzte Meinung­s­äu­ße­rungen, aber keine strafbare Schmähkritik

Die hiergegen eingelegte Revision der Staats­an­walt­schaft verwarf das OLG, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler ergeben habe. Zutreffend habe das Landgericht festgestellt, dass die Äußerungen in Bezug auf gleich­ge­schlechtliche Paare in ihrer Gesamtheit nicht auf die persönliche Ehre von Einzelpersonen durchschlagen und die Angaben des Angeklagten als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen. Die Abgrenzung zwischen Tatsa­chen­be­hauptung und Meinung­s­äu­ßerung sei unter Berück­sich­tigung des Gesamtkontextes einer Äußerung zu bewerten. Dabei sei im vorliegenden Fall eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung nicht möglich gewesen, ohne dass der Sinn der Äußerung des Angeklagten verfälscht werde. Die Äußerungen des Angeklagten seien deshalb im Interesse eines wirksamen Grund­rechts­schutzes insgesamt als Meinung­s­äu­ßerung anzusehen. Als Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage seien die teilweise polemischen und überspitzten Meinung­s­äu­ße­rungen des Angeklagten nicht als Schmähkritik zu werten und daher nicht strafbar.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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