18.10.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 28834

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Beschluss16.04.2020Oberlandesgericht Frankfurt am Main16 U 9/20
Vorinstanz:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil05.12.2019, 2-03 O 194/19
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss16.04.2020

Interpretation mehrdeutiger Äußerungen muss kenntlich gemacht werdenWiedergabe eines falschen Zitats in einem Sharepic stellt Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts dar

Kann eine Äußerung unterschiedlich gedeutet werden, ist derjenige, der die Äußerung in einer Veröf­fent­lichung wiedergibt, verpflichtet, die eigene Deutung der Äußerung durch einen Interpretations­vorbehalt kenntlich zu machen. Wenn dies nicht geschieht, ist er zum Unterlassen verpflichtet, entschied das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) in einem heute veröf­fent­lichten Beschluss.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie nimmt den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch.

LG verbot dWerbung mit falsch wiedergegebenem Zitat

Der Beklagte hatte eine Werbeanzeige in Form eines sog. SharePic auf Facebook gepostet. Das SharePic zeigte den Kopf der Klägerin in sprechender Pose mit dem Text: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt. Das Landgericht hatte den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, durch diese Darstellung den Eindruck zu erwecken, dass die Klägerin den dort angegebenen Text wörtlich gesagt habe. Das OLG bestätigte die Entscheidung.

OLG bestätigte vorinstanzliche Entscheidung

Zunächst stellte das OLG klar, dass es sich hier um eine Tatsa­chen­be­hauptung und nicht allein eine Meinung­s­äu­ßerung handele. Der Beklagte habe den Eindruck erweckt, dass er die Klägerin wörtlich zitiere. So sei die Klägerin mit ihrem Kopf und einem zum Sprechen geöffneten Mund dargestellt worden; auch der Beginn des Textes mit dem Wort „Komma“ und die umgangs­sprachliche Ausdrucksweise unterstrichen diesen Eindruck. Der oberhalb des SharePic vorhandene Verweis auf einen Artikel in der „Welt“ sei angesichts der Plakativität und Auffälligkeit der Darstellung nicht geeignet, der Darstellung ein abweichendes Verständnis zu geben.

Darstellung stellt Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keitsrecht der Klägerin dar

Diese Darstellung beeinträchtige das allgemeine Persön­lich­keitsrecht der Klägerin. Der Eindruck, es handele sich um ein Zitat, sei tatsächlich unzutreffend. Dabei wirke der grundrechtliche Schutz auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung - wie hier. Mit einem Zitat werde nicht eine subjektive Meinung des Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern eine objektive Tatsache über den Kritisierten behauptet. „Deswegen ist das Zitat, das als Belegkritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf,“ betont das OLG unter Verweis auf höchst­rich­terliche Rechtsprechung. Hier sei der Eindruck, es handele sich um ein Zitat der Klägerin, bereits deshalb unzutreffend, da die Klägerin die angegriffene Äußerung in der dargestellten Form nicht getätigt habe. Sie habe lediglich die Worte „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“ geäußert.

Unrichtige Wiedergabe liegt bereits durch eine einseitige Interpretation mehrdeutiger Aussagen vor

Ohne Erfolg verweise der Beklagte darauf, dass er den Einwurf der Kläger in einer öffentlichen Debatte so wiedergebe, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden sei. Vielmehr liege bereits dann eine unrichtige Wiedergabe vor, wenn der Eindruck erweckt werde, der Zitierte habe sich eindeutig in einem bestimmten Sinn geäußert, obwohl mehrere Inter­pre­ta­tionen möglich seien und nicht kenntlich gemacht werde, dass es sich hier nur um eine Interpretation einer mehrdeutigen Aussage handele. Maßgeblich sei dabei nicht das vertretbare Verständnis eines Durch­schnitts­lesers. Es komme vielmehr darauf an, „was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat,“ betont das OLG. Hier habe die Klägerin lediglich die Worte „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“ geäußert. Dies sei für sich gesehen inhaltsleer und könne allein im Zusammenhang einen Sinn erhalten.

Streit­ge­gen­ständliche Äußerung betrifft Beschluss der Grünen von 1986 zur Aufhebung der Strafandrohung für Pädophile

Die hier streit­ge­gen­ständliche Äußerung sei im Rahmen einer Sitzung 1986 gefallen, in welcher die damalige Rednerin der Grünen von einem CDU Abgeordneten gefragt worden sei, wie sie zu einem Beschluss der Grünen in NRW stehe, Strafandrohung gegen sexuelle Handlungen an Kindern aufzuheben. Dies habe die Klägerin zu dem zitierten Einwurf veranlasst. Ihr Einwurf sei zumindest mehrdeutig. Zwar habe die „Welt“ in dem verlinkten Artikel die Frage aufgeworfen, „klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt o. k.?“ Der Einwurf könne aber auch dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin lediglich den Inhalt des angesprochenen Beschlusses klarstellen wollte.

Eigene Deutung einer Äußerung hätte als Inter­pre­ta­ti­o­ns­vor­behalt kenntlich gemacht werden müssen

Dafür spreche, „dass sie mit der Formulierung „Komma“ zu erkennen gab, an die Äußerung des CDU-Abgeordneten anschließen und sie vervoll­ständigen zu wollen; eine inhaltliche Positionierung ist damit nicht zwangsläufig verbunden.“ Wenn demnach unter­schiedliche Deutungen - wie hier - möglich sind, sei der Zitierende verpflichtet, die eigene Deutung einer Äußerung durch einen Interpretationsvorbehalt als solche kenntlich zu machen, betont das OLG. Dies sei hier nicht geschehen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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