Im zugrunde liegenden Fall ging es um das Umgangsrecht des leiblichen Bruders mit seiner Schwester, nachdem diese adoptiert wurde. Zum Zeitpunkt der Trennung waren der Bruder acht und die Schwester sechs Jahre alt. Sie lebten abgesehen von zwei Monaten nur etwa ein Jahr mit der Mutter als Familie zusammen. Ein Umgang zwischen den Geschwistern fand seit der Adoption nicht statt.
Das Oberlandesgericht Dresden entschied, dass ein Umgangsrecht des leiblichen Bruders gemäß § 1685 Abs. 1 BGB mit seiner Schwester nicht mehr bestanden habe, denn gemäß § 1755 Abs. 1 BGB erlöschen mit der Adoption alle bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse. Der Bruder sei somit im Rechtssinn nicht mehr der leibliche Bruder der Schwester.
Ein Umgangsrecht bestehe auch nicht nach § 1685 Abs. 2 BGB. Der Bruder habe für seine Schwester keine Verantwortung im eigentlichen Sinne getragen. Zwar möge der Bruder in einem kindlich-spielerischen Sinn gelegentlich der "Beschützer" seiner kleinen Schwester gewesen sein. Eine Übernahme von Verantwortung liege darin jedoch nicht. Dies könne allenfalls bei älteren Geschwistern mit größerer Reife in Betracht kommen.
Das Oberlandesgericht führte weiter aus, dass es bei § 1685 BGB darum gehe, Personen, die in einer dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG vergleichbaren Art und Weise mit einem Kind in einer sozial-familiären Beziehung gelebt haben, auch ein Umgangsrecht zu gewähren. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, denn es fehle an der erforderlichen Verantwortungsübernahme und auch der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht betroffen. Es liege kein familiäres Zusammenleben vor. Die Geschwister hätten nur für einen überschaubaren Zeitraum zusammengelebt und hielten sich zum Trennungszeitraum bereits seit mehr als zwei Jahren in einem Kinderheim und in einer Wohngruppe auf. Dies entspreche nicht dem Leitbild einer mit Art. 6 Abs. 1 GG vergleichbaren sozial-familiären Beziehung.
Das Umgangsrecht dürfe nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht in Widerspruch zu Sinn und Zweck der Adoption treten. Ziel der Volladoption sei die vollständige Eingliederung und Sozialisation des Kindes in der Adoptivfamilie. Die Beziehung zur Herkunftsfamilie trete daneben in den Hintergrund. Die Adoptionsentscheidung setze eine umfassende Prüfung aller kindeswohlrelevanten Belange voraus. Dazu gehöre auch die Frage der nicht mehr bestehenden oder erheblich eingeschränkten Umgangsmöglichkeiten.
Nach Ansicht des Landgerichtes bestehe kein Raum für eine analoge Anwendung von § 1685 BGB. Es fehle bereits an einer Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe mit § 1685 BGB das Umgangsrecht für Verwandte und somit auch für Geschwister abschließend geregelt.
§ 1666 Abs. 4 BGB erlaube, so das Oberlandesgericht weiter, in Angelegenheiten der Personensorge die Anordnung von Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten. Der Zweck von § 1666 Abs. 4 BGB gehe jedoch dahin, durch Anordnung gefahrenabwehrender Maßnahmen seitens des Familiengerichts den Eltern ein eigenes gerichtliches Vorgehen gegen Dritte zu ersparen. Der Abwehrcharakter der Vorschrift biete dagegen keine Grundlage, einer möglichen Kindeswohlgefährdung durch Verpflichtung eines seinerseits minderjährigen Geschwisterkindes und seiner Sorgeberechtigten zur Gewährung bzw. Wahrnehmung von Umgang abzuhelfen.
Nach Meinung des Oberlandesgerichts könne es für die Schwester selbst kindeswohlgefährdend sein, dass der Umgang mit ihrem Bruder unterblieb. Die Geschwister hätten aufgrund dessen, dass die Eltern nicht präsent waren, einen stärkeren Bezug zueinander. Unter diesen Umständen könne der plötzliche Beziehungsabbruch mit ihrem Bruder auch für die Schwester möglichweise mit nicht zu unterschätzenden Wirkungen für die künftige Herausbildung einer eigenen Identität verbunden sein.
Andererseits sei zu berücksichtigen, dass die Integration in die Adoptivfamilie durch einen Umgangsrecht gefährdet sei oder dass es zu einer nicht hinzunehmenden Belastung für die Adoptivfamilie und damit wiederum eine Kindeswohlgefährdung für die Schwester kommen könne.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.11.2012
Quelle: Oberlandesgericht Dresden, ra-online (vt/rb)