Ein Ehemann hatte die Aufhebung seiner Ehe beantragt. Dies begründete er damit, dass seine Frau ihn vor Eheschließung nicht über ihre Prostituiertentätigkeit aufgeklärt habe, der sie über mehrere Jahre nachgegangen sei. Sie sei diesbezüglich zur Offenlegung verpflichtet gewesen. Hätte er davon gewusst, hätte er die Ehe nicht geschlossen. Die Ehefrau hingegen gab lediglich zu, sieben Jahre vor der Ehe einmal für zwei Wochen der Prostitution nachgegangen zu sein. Dies habe sie ihrem Mann vor der Eheschließung auch gesagt, woraufhin dieser erklärt habe, dass das für ihn kein Problem sei.
Dass die Ehefrau länger als 2 Wochen lang der Prostitution nachgegangen wäre, ließ sich im Prozess nicht nachweisen. Das Landgericht Cottbus wies den vom Ehemann gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten in der Hauptsache zurück. Das Brandenburgische Oberlandesgericht bestätigte den Beschluss, da ein Aufhebungsgrund nicht substantiiert dargetan sei.
Die Ehe könne nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aufgehoben werden, wenn ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden sei, die ihn bei Kenntnis von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten. Wenn den anderen Ehegatten eine besondere Offenbarungspflicht treffe, müsse er auch ungefragt über bestimmte Umstände aufklären. Das sexuelle Vorleben eines Ehegatten sei jedoch höchstpersönlicher Natur. Eine besondere Aufklärungspflicht scheide daher im Regelfall aus, zumal voreheliche sexuelle Erfahrungen grundsätzlich keinen kausalen Grund für eine Aufhebung der Ehe darstellen können.
Treten allerdings außergewöhnliche Umstände hinzu, können diese dazu führen, dass einen Ehegatten auch hinsichtlich seines sexuellen Vorlebens eine besondere Offenbarungspflicht treffe. Dies sei beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Ehefrau mit einem nahen Verwandten des Ehemanns vor der Heirat Geschlechtsverkehr gehabt habe, oder wenn sie bereits ein Kind habe bzw. schwanger sei. Erst recht gelte dies im Hinblick auf bestehende Krankheiten, die Einfluss auf den sexuellen Kontakt der Ehegatten haben, wie etwa eine HIV-Infektion.
Hinsichtlich ausgelebter sexueller Praktiken komme dagegen im Grundsatz keine Offenbarungspflicht in Betracht, selbst wenn diese nach dem moralischen Verständnis der Gesellschaft als außergewöhnlich anzusehen wären, da insoweit keine Schutzwürdigkeit des anderen Ehegatten hinsichtlich seines Willens zur Eingehung der Ehe bestehe. Lediglich in besonders ungewöhnlichen Fällen komme auch insoweit eine Offenbarungspflicht in Betracht, etwa bei starker gleichgeschlechtlicher Veranlagung.
Nach diesen Grundsätzen sei auch die Ausübung der Prostitution ein besonders ungewöhnlicher Fall des sexuellen Vorlebens mit daraus folgender besonderer Offenbarungspflicht. Bei der Prostitution handele es sich zwar einerseits um das an sich geschützte sexuelle Vorleben eines Ehegatten, andererseits mit Blick auf die Entgeltlichkeit seines Tuns aber um einen besonderen Umstand, der regelmäßig einer erhöhten Offenbarungspflicht unterliege.
Maßgebend sei insbesondere, dass mit Ausübung der Prostitution üblicherweise eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Anzahl von geschlechtlichem Verkehr mit einer über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Anzahl wechselnder Geschlechtspartner verbunden sei. Dass ein derart außergewöhnliches sexuelles Vorleben von Bedeutung für einen Ehegatten hinsichtlich des Eingehens der Ehe sei, dürfte für den Regelfall der Prostitutionstätigkeit nahe liegen.
In vorliegendem Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Ehefrau lediglich für den als geringfügig anzusehenden Zeitraum von zwei Wochen nachweisbar der Prostitution nachgegangen sei. Insoweit liege es nahe, dass es sich nicht um einen Charakterzug der Ehefrau dergestalt handele, dass dieser von erheblicher Bedeutung für den Ehemann wäre. Vielmehr deute gerade die kurze Zeitdauer darauf hin, dass es sich tatsächlich um eine eher einmalige Verfehlung gehandelt habe. So sei nicht einmal bekannt, in welchem Umfang - das heißt mit wie viel verschiedenen Geschlechtspartnern zu wie vielen Anlässen - die Antragsgegnerin der Prostitution nachgegangen sei. Insoweit sei dies eher als eine weniger bedeutungsvolle Verfehlung anzusehen, die dem vor Aufklärung geschützten Bereich des sexuellen Vorlebens zuzurechnen sei.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.03.2011
Quelle: ra-online, Brandenburgisches Oberlandesgericht (vt/we)