14.11.2024
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Oberlandesgericht Brandenburg Urteil10.05.2006

Müssen Ehepartner vor der Heirat ihr sexuelles Vorleben offenbaren?Die Ausübung der Prostitution vor der Ehe kann die Aufhebung der Ehe rechtfertigen - nicht aber, wenn es sich um einmalige Verfehlung handelt

Hinsichtlich bereits ausgelebter sexueller Praktiken sind Ehegatten vor der Eheschließung nicht offen­ba­rungs­pflichtig, da insoweit keine Schutz­wür­digkeit des anderen Ehegatten hinsichtlich seines Willens zur Eingehung der Ehe besteht. Aus diesem Grund ist die kurzfristige Ausübung der Prostitution keine Eheauf­he­bungsgrund gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Dies entschied das Branden­bur­gische Oberlan­des­gericht.

Ein Ehemann hatte die Aufhebung seiner Ehe beantragt. Dies begründete er damit, dass seine Frau ihn vor Eheschließung nicht über ihre Prosti­tu­ier­ten­tä­tigkeit aufgeklärt habe, der sie über mehrere Jahre nachgegangen sei. Sie sei diesbezüglich zur Offenlegung verpflichtet gewesen. Hätte er davon gewusst, hätte er die Ehe nicht geschlossen. Die Ehefrau hingegen gab lediglich zu, sieben Jahre vor der Ehe einmal für zwei Wochen der Prostitution nachgegangen zu sein. Dies habe sie ihrem Mann vor der Eheschließung auch gesagt, woraufhin dieser erklärt habe, dass das für ihn kein Problem sei.

Ehefrau ging vor Eheschluss der Prostitution nach - aber nur für zwei Wochen

Dass die Ehefrau länger als 2 Wochen lang der Prostitution nachgegangen wäre, ließ sich im Prozess nicht nachweisen. Das Landgericht Cottbus wies den vom Ehemann gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozess­kos­tenhilfe wegen mangelnder Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache zurück. Das Branden­bur­gische Oberlan­des­gericht bestätigte den Beschluss, da ein Aufhebungsgrund nicht substantiiert dargetan sei.

Sexuelles Vorleben der Ehegatten ist höchst­per­sön­licher Natur

Die Ehe könne nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aufgehoben werden, wenn ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden sei, die ihn bei Kenntnis von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten. Wenn den anderen Ehegatten eine besondere Offenbarungspflicht treffe, müsse er auch ungefragt über bestimmte Umstände aufklären. Das sexuelle Vorleben eines Ehegatten sei jedoch höchst­per­sön­licher Natur. Eine besondere Aufklärungspflicht scheide daher im Regelfall aus, zumal voreheliche sexuelle Erfahrungen grundsätzlich keinen kausalen Grund für eine Aufhebung der Ehe darstellen können.

Ehegatten müssen nur unter besonderen Umständen über ihr sexuelles Vorleben aufklären

Treten allerdings außer­ge­wöhnliche Umstände hinzu, können diese dazu führen, dass einen Ehegatten auch hinsichtlich seines sexuellen Vorlebens eine besondere Offen­ba­rungs­pflicht treffe. Dies sei beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Ehefrau mit einem nahen Verwandten des Ehemanns vor der Heirat Geschlechts­verkehr gehabt habe, oder wenn sie bereits ein Kind habe bzw. schwanger sei. Erst recht gelte dies im Hinblick auf bestehende Krankheiten, die Einfluss auf den sexuellen Kontakt der Ehegatten haben, wie etwa eine HIV-Infektion.

Aufklä­rungs­pflicht über außer­ge­wöhnliche Sexualpraktiken nur in besonders ungewöhnlichen Fällen

Hinsichtlich ausgelebter sexueller Praktiken komme dagegen im Grundsatz keine Offen­ba­rungs­pflicht in Betracht, selbst wenn diese nach dem moralischen Verständnis der Gesellschaft als außergewöhnlich anzusehen wären, da insoweit keine Schutz­wür­digkeit des anderen Ehegatten hinsichtlich seines Willens zur Eingehung der Ehe bestehe. Lediglich in besonders ungewöhnlichen Fällen komme auch insoweit eine Offen­ba­rungs­pflicht in Betracht, etwa bei starker gleich­ge­schlecht­licher Veranlagung.

Prostitution ist besonders ungewöhnlicher Fall und verpflichtet zur Offenbarung

Nach diesen Grundsätzen sei auch die Ausübung der Prostitution ein besonders ungewöhnlicher Fall des sexuellen Vorlebens mit daraus folgender besonderer Offen­ba­rungs­pflicht. Bei der Prostitution handele es sich zwar einerseits um das an sich geschützte sexuelle Vorleben eines Ehegatten, andererseits mit Blick auf die Entgeltlichkeit seines Tuns aber um einen besonderen Umstand, der regelmäßig einer erhöhten Offen­ba­rungs­pflicht unterliege.

Prostitution bedeutet hohe Anzahl von geschlecht­lichem Verkehr mit vielen wechselnder Geschlechts­partnern

Maßgebend sei insbesondere, dass mit Ausübung der Prostitution üblicherweise eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Anzahl von geschlecht­lichem Verkehr mit einer über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Anzahl wechselnder Geschlechts­partner verbunden sei. Dass ein derart außer­ge­wöhn­liches sexuelles Vorleben von Bedeutung für einen Ehegatten hinsichtlich des Eingehens der Ehe sei, dürfte für den Regelfall der Prosti­tu­ti­o­ns­tä­tigkeit nahe liegen.

Ausübung der Prostitution für nur kurze Zeit ist einmalige Verfehlung - und kein Charakterzug

In vorliegendem Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Ehefrau lediglich für den als geringfügig anzusehenden Zeitraum von zwei Wochen nachweisbar der Prostitution nachgegangen sei. Insoweit liege es nahe, dass es sich nicht um einen Charakterzug der Ehefrau dergestalt handele, dass dieser von erheblicher Bedeutung für den Ehemann wäre. Vielmehr deute gerade die kurze Zeitdauer darauf hin, dass es sich tatsächlich um eine eher einmalige Verfehlung gehandelt habe. So sei nicht einmal bekannt, in welchem Umfang - das heißt mit wie viel verschiedenen Geschlechts­partnern zu wie vielen Anlässen - die Antragsgegnerin der Prostitution nachgegangen sei. Insoweit sei dies eher als eine weniger bedeutungsvolle Verfehlung anzusehen, die dem vor Aufklärung geschützten Bereich des sexuellen Vorlebens zuzurechnen sei.

Quelle: ra-online, Brandenburgisches Oberlandesgericht (vt/we)

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