15.11.2024
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Dokument-Nr. 2718

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Urteil20.07.2006Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht8 LC 11/05 und 8 LC 12/05
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Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht Urteil20.07.2006

Finan­zie­rungs­system des Versor­gungswerks der nieder­säch­sischen Zahnärzte ist rechtswidrigAltersrente sichert nicht den Grundbedarf und gleicht auch Kaufkraft­verlust nicht aus

Das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht hat in zwei Urteilen das Finan­zie­rungs­system des Alters­ver­sor­gungswerks der Zahnärztekammer Niedersachsen für rechtswidrig erklärt.

Das seit 1963 bestehende Alters­ver­sor­gungswerk der Zahnärztekammer Niedersachsen ist eine sog. berufs­s­tän­dische Versor­gungs­ein­richtung für in Niedersachsen tätige Zahnärzte. Es gewährt seinen Pflicht­mit­gliedern Alters- und Berufs­un­fä­hig­keitsrente sowie im Todesfalle den Hinterbliebenen Witwen- und Waisenrenten. Das Alters­ver­sor­gungswerk arbeitet nach dem Kapita­l­de­ckungs­ver­fahren und finanziert seine Versor­gungs­leis­tungen ausschließlich aus den von den Zahnärzten zu leistenden Beiträgen und deren Erträgen. Die Einzelheiten der Versor­gungs­leis­tungen, wie etwa die Regelungen über die Berechnung und die Höhe der Altersrente, sind nicht gesetzlich festgelegt, sondern werden von der Kammer­ver­sammlung durch eine Satzung, die sog. Alters­si­che­rungs­ordnung, beschlossen.

Nach der geltenden Alters­si­che­rungs­ordnung haben die Mitglieder und ihre Hinterbliebenen Anspruch auf in der Höhe feststehende "Grundrenten". Der Berechnung dieser "Grundrenten" lag bis zum Jahr 2004 die Annahme zu Grunde, dass das Alters­ver­sor­gungswerk aus der Anlage der Beiträge einen Gewinn von 4 % erzielt. In der Vergangenheit - bis zum Jahr 2001 - wurde tatsächlich ein z.T. erheblich höherer Gewinn erzielt. Aus diesen zusätzlichen Erträgen gewährte das Alters­ver­sor­gungswerk seinen Versor­gungs­be­rech­tigten ergänzend zu den Grundleistungen seit 1977 eine sog. Rentenanpassung. Über deren Höhe wird jährlich neu entschieden. Je länger die Mitgliedschaft im Alters­ver­sor­gungswerk bestand, desto höher fiel prozentual die Rentenanpassung aus, die zudem jährlich anstieg. Letzteres änderte sich ab dem Jahr 2003. Der Leitende Ausschuss des Alters­ver­sor­gungs­werkes beschloss für das Jahr 2003 eine im Verhältnis zum Vorjahr um 10 % geminderte Rentenanpassung. Für das Jahr 2004 erfolgte überhaupt keine Rentenanpassung mehr.

Gegen die dadurch bedingte Kürzung seiner Altersbezüge hat sich der 1925 geborene Kläger gewandt. Seine "Gesamtrente" ist von ursprünglich monatlich insgesamt 1.581,- € im Jahr 2002 über 1.498,- € im Jahr 2003 auf 746,- € im Jahr 2004 gesunken.

Das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht - 8. Senat - hat in seinen Urteilen die sich auf die "Rentenkürzungen" in den Jahren 2003 (8 LC 12/05) und 2004 (8 LC 11/05) beziehen, entschieden, dass die Alters­si­che­rungs­ordnung der Zahnärzte mit höherrangigem Recht, nämlich dem nieder­säch­sischen Heilbe­ru­fe­kam­mer­gesetz (HKG), nicht in Einklang steht. § 12 HKG lässt sich entnehmen, dass ein berufs­s­tän­disches Alters­ver­sor­gungswerk seinen Pflicht­mit­gliedern lebenslang eine ihren Grundbedarf sichernde Rente zu zahlen hat. Dieser Regelungs­auftrag schließt das Ziel ein, den infla­ti­o­ns­be­dingten Kaufkraft­verlust einer Altersrente durch verlässliche Zusatz­leis­tungen zu vermeiden. Dazu muss ein bewährtes Finan­zie­rungs­system gewählt werden. Dies ist bei dem Alters­ver­sor­gungswerk der nieder­säch­sischen Zahnärzte nicht der Fall. In diesem System können nämlich Rente­n­an­pas­sungen nur aus Überschüssen des Werks finanziert werden. Fallen - wie in der Vergangenheit bis zum Jahr 2001 - solche Überschüsse an, so werden daraus zwar Rente­n­an­pas­sungen gewährt. Diese werden aber als freiwillige, nicht für die Zukunft garantierte Leistungen verstanden, so dass darauf kein Anspruch besteht und seitens des Versor­gungswerks auch keine hinreichenden Rücklagen gebildet werden. Dadurch können in Abhängigkeit von der Entwicklung auf dem Kapitalmarkt zwar in guten Jahren überdurch­schnittlich hohe Renten­leis­tungen erbracht werden, so wie dies im vorliegenden Fall bis zum Jahr 2002 auch geschehen ist. Der Nachteil besteht hingegen darin, dass die Rentner nach ertrags­schwachen, schlechten Jahren nicht nur im Folgejahr keine weitere Rentenanpassung mehr erhalten. Vielmehr gerät auch ihre Rentenanpassung für die Vorjahre in Gefahr. Sie können dann - wie im Jahr 2004 geschehen - wieder auf die Rentenhöhe zurückfallen, die sie bei Eintritt in den Ruhestand hatten. Ein solches Regelungssystem ist für die Pflicht­ver­sorgung bundesweit einmalig.

Nach den Urteilen wird dieses System seinem zuvor beschriebenen Regelungs­auftrag nicht gerecht, den Rentnern lebenslang eine ihren Grundbedarf sichernde und den Kaufkraft­verlust ausgleichende Altersrente zu zahlen. Die Zahnärztekammer Niedersachsen wird daher eine geänderte Fassung der Alter­si­che­rungs­ordnung beschließen müssen. Auf deren Grundlage hat dann das Alters­ver­sor­gungswerk erneut darüber zu befinden, ob dem Kläger für die Jahre 2003 und 2004 eine höhere Rente zusteht. Gleiches gilt für eine Vielzahl weiterer Verfahren, in denen sich Zahnärzte mit Widerspruch oder Klage ebenfalls gegen die "Rentenkürzungen" gewandt haben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OVG Niedersachsen vom 24.07.2006

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