18.10.2024
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Dokument-Nr. 6450

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Urteil28.07.2008Landesverfassungsgericht BrandenburgVfGBbg 76/05
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Landesverfassungsgericht Brandenburg Urteil28.07.2008

Land muss Kreise bei Sozia­l­leis­tungen finanziell unterstützen

Landkreise und kreisfreie Städte haben in § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII eine Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten durch das Land, die ihnen in den Jahren 2005 und 2006 durch Wahrnehmung der Aufgabe der Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII für Personen in stationärer Betreuung entstanden sind.

Das Verfas­sungs­gericht des Landes Brandenburg hat die kommunale Verfas­sungs­be­schwerde der Landkreise Havelland und Uckermark gegen Regelungen des zum 1. Januar 2005 in Brandenburg in Kraft getretenen Gesetzes zur Ausführung des § 100 Abs. 1 des Bundes­so­zi­a­l­hil­fe­ge­setzes und des Zwölften Buches Sozial­ge­setzbuch (AG-BSHG/SGB XII) zurückgewiesen.

Die Beschwer­de­führer machten geltend, daß es für die von ihnen seit dem 1. Januar 2005 nach §§ 41 ff. SGB XII wahrgenommene Aufgabe der Grundsicherung im Alter und bei Erwer­bs­min­derung für stationär untergebrachte Leistungs­be­rechtigte für den hier in Frage stehenden Zeitraum - vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 - an einer verfas­sungs­kon­formen, den Anforderungen des strikten Konne­xi­täts­prinzips aus Artikel 97 Abs. 3 Sätze 2 und 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) genügenden Koste­n­er­stat­tungs­re­gelung fehle. Die Aufgabe sei den Landkreisen und kreisfreien Städten, als örtliche Träger der Sozialhilfe, durch das Land - und nicht durch den Bund - im Rahmen des § 2 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII übertragen worden. Daher sei auch das Land gemäß Artikel 97 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LV verpflichtet, den örtlichen Trägern die hierdurch entstandenen Kosten zu erstatten. Nach Ansicht der Beschwer­de­führer liege auch - etwa mit § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII - keine verfas­sungs­konforme Koste­n­er­stat­tungsnorm vor. Denn daß der Gesetzgeber eine solche Koste­n­er­stattung gar nicht habe vornehmen wollen, ergebe sich bereits aus dem Umstand, daß der ursprünglich im Gesetzentwurf zu Gunsten der örtlichen Träger als Koste­n­er­stat­tungsnorm für die verfah­rens­ge­gen­ständliche Aufgabe vorgesehenen § 4 c AG-BSHG/SGB XII („Zuweisungen für Grundsicherung“) im Rahmen des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens gestrichen worden sei.

Das Land hatte eine Erstattung dieser Kosten mit der auch im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren vertretenen Rechts­auf­fassung abgelehnt, die sachliche Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte für den streit­be­fangenen Aufgabenbereich resultiere bereits aus der bundes­recht­lichen Zustän­dig­keits­ver­mutung des § 97 Abs. 1 SGB XII, wonach grundsätzlich der örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig ist. Das Konne­xi­täts­prinzip finde daher hier keine Anwendung, da es auf die Aufga­be­n­über­tra­gungen durch den Landes­ge­setzgeber begrenzt sei. Diese Rechts­auf­fassung hatte bereits zur Streichung des § 4 c im Entwurf zum AG-BSHG/SGB XII geführt. Sollte das Gericht - so die Landesregierung - aber der Ansicht der Beschwer­de­führer folgen, sei zu berücksichtigen, daß § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII dennoch eine Koste­n­er­stattung zulasse.

Obwohl die kommunale Verfas­sungs­be­schwerde zurückgewiesen wurde, folgte das Landes­ver­fas­sungs­gericht im Kern der Rechtsansicht der Beschwer­de­führer: Mit § 2 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII liege ein Landesgesetz vor, das den Landkreisen die Aufgabe der Grundsicherung im stationären Bereich zuweise. Zwar übertrage die bundes­rechtliche Regelung in § 97 Abs. 4 SGB XII i.V.m. § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG die Grundsicherung für stationär betreute Personen originär den überörtlichen Trägern, so daß für diese Aufgabe in Brandenburg eigentlich das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) zuständig wäre. Von der gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 BSHG durch den Bundes­ge­setzgeber dem Landes­ge­setzgeber zugleich eingeräumten Möglichkeit, diese Aufgabe auf den örtlichen Träger zu übertragen, habe dieser jedoch mit § 2 Abs. 2 AG-BSHG Gebrauch gemacht. Die Übertra­gungs­wirkung des § 2 Abs. 2 AG-BSHG beschränke sich dabei nicht auf die Aufgaben des § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG, da die „Konzen­tra­ti­o­ns­vor­schrift“ des § 97 Abs. 4 SGB XII eine signifikante Ausweitung dieses Aufga­ben­be­reichs bewirke. Danach umfaßt die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln das SGB XII zu erbringen sind, sowie für Leistungen nach § 74 SGB XII. Auf dieser Grundlage ziehe die Zuweisung der Aufgaben nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG an die Landkreise und kreisfreien Städte die Zuständigkeit für die Aufgabe der Grundsicherung nach sich. Auch wenn die Aufga­ben­kon­zen­tration in § 97 Abs. 4 SGB XII und damit im Bundesrecht geregelt sei, seien die örtlichen Träger der Sozialhilfe nur deshalb von den Auswirkungen betroffen, weil der Landes­ge­setzgeber die vom Bundes­ge­setzgeber eigentlich vorgesehene Zustän­dig­keits­ver­teilung für Aufgaben nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG umgekehrt und daher vom überörtlichen auf den örtlichen Sozia­l­hil­fe­träger verlagert habe. Das Land müsse sich daher auch die Kosten zurechnen lassen, die bei den örtlichen Trägern der Sozialhilfe aufgrund der durch die Aufga­be­n­über­tragung nach § 2 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII bewirkten Konzentration weiterer Aufgaben entstanden sind. Eine den Vorgaben des Artikel 97 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LV genügende Kosten­de­ckungs­re­gelung liege - im Ergebnis einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung - mit § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII auch vor, so das Gericht. Denn seinem Wortlaut nach sehe § 4 Abs. 2 AG-BSHG/SGB XII zum Ausgleich der Kosten, die den örtlichen Trägern durch die Übertragung der sachlichen Zuständigkeit nach § 2 AG-BSHG/SGB XII entstehen, eine Erstattung der angemessenen und notwendigen Kosten - somit auch für die Kosten der hier streit­be­fangenen Aufgabe - nach Maßgabe der §§ 4 a und 4b AG-BSHG/SGB XII durch das Land vor. Dem stehe auch nicht entgegen, daß der ursprünglich als Koste­n­er­stat­tungsnorm für die verfah­rens­ge­gen­ständliche Aufgabe vorgesehene § 4 c AG-BSHG/SGB XII im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren gestrichen worden sei. Denn dies beruhe auf einer rechts­feh­ler­haften Bewertung der Frage, ob hier die sachliche Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe aus Landesrecht oder Bundesrecht resultiere. Hätte der Gesetzgeber demgegenüber eine zutreffende Bewertung der einfach­ge­setz­lichen Rechtslage vorgenommen - wie ausgeführt - und dem Gesetz zugrundegelegt, hätte er für die verfah­rens­ge­gen­ständliche Aufgabe eine Koste­n­er­stattung auch vorsehen wollen. Dieses Ausle­gungs­er­gebnis werde letztlich durch die von der Landesregierung im hiesigen Verfahren vertretene Ansicht bestätigt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des LVerfG vom 28.07.2008

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