21.11.2024
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Dokument-Nr. 22798

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Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss09.06.2016

Bei Zweifel an Erwer­bs­fä­higkeit ist ein Gutachten des Renten­ver­si­che­rungs­trägers einzuholenAntragsteller dürfe trotz Zweifel nicht zwischen die Stühle geraten

Trotz Zweifel an der Erwer­bs­fä­higkeit ist eine Verweisung des Jobcenters an den Sozia­l­hil­fe­träger nicht zulässig. Das Jobcenter ist zur Zahlung von Leistungen verpflichtet. Dies wurde in einem Eilverfahren vor dem Landes­so­zi­al­gericht Nordrhein-Westfalen entschieden.

Im vorliegenden Fall lebt der 1976 geborene italienische Antragsteller schon seit vielen Jahren in Deutschland. Er ist Inhaber eines Dauer­auf­ent­halts­rechts und damit grundsätzlich berechtigt, Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV") zu erhalten. Mittel zur Bestreitung seines Lebens­un­terhalts stehen ihm zur Zeit nicht zur Verfügung. Deshalb hat er bei dem Jobcenter Herne Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts beantragt.

Sozia­l­hil­fe­träger lehnt ebenfalls Leistungs­er­bringung ab

Das Jobcenter zog ein arbeits­me­di­zi­nisches Gutachten der Agentur für Arbeit bei, in dem ausgeführt wurde, der Antragsteller sei nicht erwerbsfähig. Daraufhin verwies das Jobcenter den Antragsteller auf die Stadt Herne als Sozialhilfeträger, der für nicht erwerbsfähige Personen zuständig ist. Auch dieser lehnte jedoch die Erbringung von existenz­si­chernden Leistungen ab.

Erwer­bs­fä­higkeit grundsätzlich Voraussetzung für Leistungen nach SGB II

Das Gericht hat das Vorgehen des Jobcenters für rechtswidrig befunden. Zwar sei es zutreffend, dass Leistungen nach dem SGB II Erwer­bs­fä­higkeit voraussetzen. Bis zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit habe das Jobcenter jedoch vorläufig Leistungen zu zahlen. Durch diese gesetzliche Verpflichtung solle verhindert werden, dass ein Antragsteller bei fraglicher Erwer­bs­fä­higkeit zwischen die Stühle gerate und gar keine Leistungen, weder vom Jobcenter noch vom Sozialamt, erhalte.

Bloße Annahme von fehlender Erwer­bs­fä­higkeit für Leistungs­ver­wei­gerung nicht ausreichend

Das Jobcenter dürfe fehlende Erwer­bs­fä­higkeit nicht annehmen, ohne zuvor den Sozia­l­hil­fe­träger eingeschaltet zu haben. Das Jobcenter müsse mit dem Sozialamt vertrauensvoll zusam­me­n­a­r­beiten. Es sei verpflichtet, dem Sozia­l­hil­fe­träger das Gutachten zu übermitteln, anzufragen, wie dieser die Erwer­bs­fä­higkeit beurteilt und evtl. eine angemessene Frist zur abschließenden Äußerung zu setzen. Erst wenn diese abgelaufen sei, ohne dass der Sozia­l­hil­fe­träger sich geäußert hat, sei das Jobcenter berechtigt, "Hartz IV" zu verweigern und den Betroffenen auf das Sozialamt zu verweisen. Im Zweifel sei das Jobcenter entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verpflichtet, ein Gutachten des Renten­ver­si­che­rungs­trägers einzuholen, der über die Erwer­bs­fä­higkeit verbindlich entscheidet. Da ein solches Verfahren nicht stattgefunden hatte, hat der Senat das Jobcenter zur Zahlung verpflichtet.

Quelle: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen/ ra-online

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