21.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil22.11.2017

Körper­ver­letzung durch Arbeitskollegen auf Heimweg stellt Arbeitsunfall darBetrieblicher Zusammenhang beim vorangegangenen Streit

Wird ein Arbeitnehmer auf dem Heimweg von der Arbeit von einem Arbeitskollegen zusam­men­ge­schlagen, kann er einen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls haben. Dies hat das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg entschieden.

Im hier zu verhandelnden Fall fuhr der Kläger nach dem Einsatz auf einer Baustelle den Firmen­trans­porter der Arbeitgeberin zurück. Im Wagen saßen mehrere Kollegen, die nach dem Arbeitstag auf der Baustelle verschwitzt waren und es kam zum Streit, ob man wegen der „schlechten Luft“ die Fenster öffnen oder besser die Zugluft vermeiden solle. Im Verlauf dieses Streits, in dem auch beleidigende Worte fielen, wurde das Fenster durch einen Kollegen mehrmals geöffnet und wieder geschlossen. Als dieser Kollege schließlich vom Kläger abgesetzt wurde, eskalierte die Situation, als der Kollege die Beifahrertüren öffnete und der Kläger ausstieg, um diese wieder zu schließen. Der Kollege griff dann den Kläger an und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Dann versetzte er dem am Boden liegenden Kläger noch mit dem mit einer Stahlkappe bewehrten Schuh einen Tritt in den Kopfbereich. Hierdurch erlitt der Kläger eine Schädelprellung sowie Hautab­schür­fungen am Außenknöchel und Daumen rechts. Der Täter wurde später vom Amtsgericht Göppingen wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnt Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab

Die Berufsgenossenschaft hörte die Arbeitnehmer mit dem von ihr für solche Fälle entwickelten „Fragebogen Streit“ an, lehnte anschließend gegenüber dem Kläger die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab und stellte sich auf den Standpunkt, der Streit sei nicht aus betrieblichen Gründen, sondern aus persönlichen bzw. kulturellen Differenzen eskaliert.

SG: Ausein­an­der­setzung auf konfliktaffine Persön­lich­keiten zurückzuführen

Das Sozialgericht Ulm hat in erster Instanz der Berufs­ge­nos­sen­schaft Recht gegeben. Die gegen den Kläger gerichtete Straftat des Kollegen sei nicht wesentlich durch das Zurücklegen des Arbeitsweges bedingt gewesen, sondern durch die konfliktaffine Persönlichkeit der beiden Beteiligten.

LSG: Direkter Nachhauseweg fällt unter Schutz der gesetzlichen Wegeun­fa­ll­ver­si­cherung

Das Landes­so­zi­al­gericht hat dies anders bewertet, das erstin­sta­nzliche Urteil aufgehoben, dem Kläger Recht gegeben und die Berufs­ge­nos­sen­schaft verpflichtet, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Auch der (direkte) Nachhauseweg von der Arbeitsstätte zur Wohnung steht unter dem Schutz der gesetzlichen Wegeun­fa­ll­ver­si­cherung. Dieser Versi­che­rungs­schutz aus der Wegeun­fa­ll­ver­si­cherung ist nicht unterbrochen worden. Das versicherte Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte war die maßgebliche Ursache für die Einwirkungen durch den Täter, der den Kläger durch seine Intervention daran hindern wollte, die Fahrzeugtüren zu schließen, um dann unverzüglich die Fahrt nach Hause fortzusetzen.

Streitthemen waren nicht privater Natur

Die Ursachen des Streits lagen nicht im privaten Bereich begründet, sondern in der versicherten Tätigkeit des Klägers als Fahrer: Der Kläger und der Kollege hatten zuvor darüber gestritten, ob das Fenster wegen unangenehmer Gerüche durch die verschwitzte Arbeitskleidung geöffnet oder wegen der Erkäl­tungs­gefahr durch Zugluft geschlossen gehalten werden sollte und wer dies zu bestimmen hatte. Außerdem war der Täter aufgebracht darüber, dass zunächst ein dritter Kollege und nicht er vom Kläger nach Hause gebracht worden war. In der Straftat wirkte der unmittelbar vorangegangene Streit über Themen mit konkretem Bezug zur versicherten Tätigkeit nach.

Ausstieg aus Fahrzeug keine privat­wirt­schaftliche Tätigkeit

Zwar hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt sein Fahrzeug angehalten und war aus dem Fahrzeug ausgestiegen, aber nur deshalb, um die vom Täter zuvor geöffneten Türen zu schließen, ohne dass er dafür den öffentlichen Verkehrsraum verlassen musste. Es handelte sich um eine Verrichtung, die notwendig war, damit der restliche Weg zurückgelegt werden konnte, also nicht um eine privat­wirt­schaftliche Tätigkeit. Der Kläger wollte nur seinen Heimweg fortsetzen und zu diesem Zweck die Verkehrs­si­cherheit des Fahrzeugs wieder­her­stellen, indem er versuchte, auch die letzte Fahrzeugtür auf der Beifahrerseite zu schließen, woran der Täter ihn zu hindern suchte, was schließlich in die von diesem begangene Körper­ver­letzung mündete.

Erläuterungen

Sozial­ge­setzbuch (SGB) VII – Gesetzliche Unfall­ver­si­cherung

§ 8 Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 1 SGB VII:

(1)Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesund­heits­schaden oder zum Tod führen.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusam­men­hän­genden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ ra-online

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