Landgericht Wuppertal Urteil29.12.2022
Private Krankenversicherung muss Kosten einer heterologen Insemination einer transidenten Person übernehmenVorliegen einer "organisch bedingten Sterilität" im Sinne der Versicherungsbedingungen
Ist eine heterologe Insemination bei "organisch bedingter Sterilität" vom Versicherungsschutz einer privaten Krankenversicherung umfasst, so müssen die Kosten einer Kinderwunschbehandlung einer transidenten Person übernommen werden. Dies hat das Landgericht Wuppertal entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im März 2020 beantragte ein transidenter Mann von seiner privaten Krankenversicherung die Übernahme der Kosten einer heterologen Insemination. Der Mann verfügte weder über funktionsfähige weibliche Fortpflanzungsorgane noch Hoden und die weiteren inneren Geschlechtsorgane wie Nebenhoden oder Samenleiter. Die Krankenversicherung lehnte die Kostenübernahme ab, da ihrer Meinung nach keine "organisch bedingte Sterilität" im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliege. Der Mann nahm die Kinderwunschbehandlung daraufhin auf eigene Kosten auf und klagte anschließend auf Erstattung der Kosten.
Anspruch auf Erstattung der Kosten für Kinderwunschbehandlung
Das Landgericht Wuppertal entschied zu Gunsten des Klägers. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Kinderwunschbehandlung zu.
Vorliegen einer "organisch bedingten Sterilität"
Bei dem Kläger liege nach Auffassung des Landgerichts eine "organisch bedingte Sterilität" im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Ein verständiger Versicherungsnehmer würde die Formulierung so verstehen, dass es sich um eine auf körperliche Ursachen beruhende Unfähigkeit handelt, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen. Dies sei beim Kläger der Fall. Er verfüge weder über funktionsfähige männliche noch weibliche Fortpflanzungsorgane, welche die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Weg ermöglichen würde.
Fortpflanzungsfähigkeit bemisst sich nicht allein nach Funktionstauglichkeit der Geschlechtsmerkmale
Zudem wies das Landgericht daraufhin, dass die körperliche Fortpflanzungsfähigkeit sich nicht allein nach der Funktionsfähigkeit der physischen Geschlechtsmerkmale bemesse. Sie hänge vielmehr wesentlich auch von der psychischen Konstitution eines Menschen und seiner nachhaltig selbst empfundene Geschlechtlichkeit ab. Die natürliche Fortpflanzungsfähigkeit sei daher evident auch dann nicht gegeben, wenn einem transidenten Mann die Durchführung des Zeugungsaktes wie auch der Austragung und die Geburt eines Kindes aufgrund des Widerstreites der bei Geburt vorhandenen Sexualorgane mit seiner selbst empfundenen Geschlechtlichkeit nicht möglich sei. Dies erkenne im Grundsatz auch die Beklagte an, da sie homosexuelle Paare im Versicherungsschutz aufgenommen habe.
Kein Leistungsausschluss wegen Hormontherapie
Nach Ansicht des Landgerichts könne die Beklagte sich auch nicht auf einen Leistungsausschluss wegen der Hormontherapie des Klägers berufen. Denn die Hormontherapie einer transidenten Person zur Annäherung an das Erscheinungsbild des empfundenen Geschlechts sei Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrecht und stelle damit ein sozialadäquates Verhalten dar.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 02.03.2023
Quelle: Landgericht Wuppertal, ra-online (vt/rb)