21.11.2024
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Landgericht Trier Urteil14.06.2005

Supermärkte müssen die Waren in Regalen so anordnen, dass keine Gefahren für Kunden entstehen

Ein Super­ma­rkt­be­treiber ist verpflichtet, seine Waren so in den Regalen anzuordnen, dass daraus keine Gefahren für die Kunden entstehen. Das geht aus einem Urteil des Landgerichts Trier hervor.

Die Beklagte betreibt in Trier ein Selbst­be­die­nungs­kaufhaus. In den Geschäftsräumen der Beklagten werden unter anderem Geträn­ke­flaschen in aufge­schnittenen und übereinander auf Regalböden gestapelten Kartons zum Kauf angeboten. Als die Klägerin am 9. Juni 2004 im Kaufhaus der Beklagten eine Glasflasche des Getränks „Palmero“ aus einem Karton entnahm, der auf einem weiteren offenen Karton auf dem vierten Regalboden von unten in etwa 1,85 - 1,90 m Höhe stand, fielen aus demselben Karton zwei Glasflaschen und schlugen der Klägerin gegen den rechten Fuß und Unterschenkel. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Das Amtsgericht Trier hatte die Klage mit Urteil vom 21.01.2005 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht dieses Urteil abgeändert und der Klägerin 600.-- € Schmerzensgeld und 115,52 € Schadensersatz zugesprochen.

Das Landgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe ihre Verkehrs­si­che­rungs­pflicht verletzt.

Aus den Urteilsgründen:

"Die Klägerin hat die Geschäftsräume der Beklagten als potentielle Kundin betreten. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand daher ein vorver­trag­liches Schuld­ver­hältnis mit Schutz- und Obhutspflichten. Danach obliegt der Beklagten die Pflicht, in ihren Verkaufsräumen dafür Sorge zu tragen, Gefahren für die körperliche Unversehrtheit ihrer Kunden, die bei bestim­mungs­gemäßer oder nicht ganz fern liegender bestim­mungs­widriger Benutzung drohen, weitestgehend abzuwenden (sog. Verkehrs­si­che­rungs­pflicht).

Das Stapeln von aufge­schnittenen Kartons mit Glasflaschen in einer Höhe von etwa 1,85 - 1,90 m stellt eine Verletzung der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht dar. Die Beklagte war verpflichtet, ihre Waren in den Regalen so anzuordnen, dass daraus keine Gefahren für ihre Kunden entstehen.

Zwar ist es nie ganz auszuschließen, dass Kunden Waren unsachgemäß entnehmen oder zurückstellen und dadurch die Standsicherheit anderer Waren gefährden. Die Beklagte trifft keine Pflicht, dieses Risiko völlig auszuräumen, da dies nicht möglich ist. Jedoch hat die Beklagte durch die Stapelung von offenen Kartons mit Glasflaschen in 1,85 - 1,90 m Höhe ein besonderes Risiko geschaffen. Die Stapelung von an einer Seite aufge­schnittenen Kartons ist an sich schon instabil. Diese Aufbe­wah­rungsart birgt zudem von vornherein die Gefahr, dass Kunden, die die obere Reihe nicht erreichen können, Flaschen aus der unteren Kartonreihe entnehmen, wodurch die Standsicherheit der oberen Kartonreihe gefährdet wird, was für nachfolgende Kunden nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Weiterhin begründet die von der Beklagten praktizierte Aufbe­wah­rungsart das Risiko, dass auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durch den Kunden beim Herausnehmen einer Flasche allein durch die Bewegung des Heraus- und Herunterziehens der Flasche die Standsicherheit der anderen Flaschen gefährdet wird. Bei der von der Beklagten praktizierten Aufbe­wah­rungsart kann der durch­schnittliche Kunde regelmäßig nicht erkennen, wie die hinteren Flaschen in den oberen Kartons aufgestellt sind. Der Kunde kann daher nicht vorhersehen, wie sich die Entnahme einer Flasche auf die Standsicherheit der übrigen Flaschen auswirkt. Gerade in einem Selbst­be­die­nungsladen müssen die angebotenen Waren aber so aufgestellt sein, dass ein durch­schnitt­licher Kunde jedes gewünschte Produkt problemlos erreichen kann. Die von der Beklagten praktizierte Aufbe­wah­rungsart ist in (preisgünstigen) Warenhäusern auch nicht allgemein üblich. In anderen (preisgünstigen) Warenhäusern werden Glasflaschen nicht in so großer Höhe in offenen Kartons übereinander gestapelt. Der in der von der Beklagten praktizierten Aufbe­wah­rungsart liegende Verstoß gegen die Verkehrs­si­che­rungs­pflicht kann durch regelmäßige Kontrollen der Regale auch nicht ausgeräumt werden, da diese nicht geeignet sind, der erheblichen Gefahr, die von den gestapelten Glasflaschen ausgeht, adäquat entgegen zu wirken. Die diesbezügliche Behauptung der Beklagten kann daher als wahr unterstellt werden.

Die Beklagte hat die Pflicht­ver­letzung zu vertreten. Sie handelte fahrlässig, da ihre Angestellten durch das Aufstapeln von Glasflaschen in offenen Kartons in einer Höhe von 1,85 – 1,90 m die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen haben und dies der Beklagten zuzurechnen ist.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht zu kürzen, da das Verschulden der Beklagten derart überwiegt, das ein etwaiges Mitverschulden der Klägerin dahinter zurück tritt.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch die Art und Weise der Entnahme der Flasche den Unfall verursacht hat. Bei der von der Beklagten praktizierten Aufbe­wah­rungsart kann nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass typischerweise unsachgemäßes Verhalten des Kunden bei der Entnahme einer Flasche die Ursache für das Herunterfallen anderer Flaschen darstellt. Vielmehr ist die von der Beklagten praktizierte Aufbe­wah­rungsart an sich instabil. Allenfalls der Entschluss der Klägerin, überhaupt eine Flasche aus den aufgestapelten Kartons zu entnehmen, könnte daher ein Mitverschulden der Klägerin begründen, da erkennbar war, dass aufgrund der von der Beklagten praktizierten Aufbe­wah­rungsart generell die Gefahr des Herunterfallens von Flaschen bestand. Geht man davon aus, so hätte die Klägerin Angestellte der Beklagten zu Hilfe rufen oder vom Kauf des gewünschten Getränkes Abstand nehmen müssen. Bei dem Warenhaus der Beklagten handelt es sich indes um ein Selbst­be­die­nungs­ge­schäft, in dem Angestellte nicht permanent zur Hilfestellung für die Kunden zur Verfügung stehen. Ferner war für die Klägerin vorliegend kein besonderes, über die durch das Stapeln der Kartons begründete allgemeine Gefahr hinausgehendes Risiko erkennbar. Ein etwaiges Mitverschulden der Klägerin ist daher als gering einzustufen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Ausgangsrisiko von der Beklagten geschaffen wurde. Die Beklagte hat Glasge­trän­ke­flaschen, die instabil aufgestapelt waren, zum Verkauf angeboten und dadurch die Kunden aufgefordert, trotz dieser riskanten Aufbe­wah­rungsart Flaschen aus dem Regal zu entnehmen. Das Risiko, dass hierdurch ein Schaden verursacht wird, trägt daher, sofern wie vorliegend keine besonderen Umstände hinzutreten, die Beklagte".

Das Urteil ist rechtskräftig.

Vorinstanz: Amtsgericht Trier, Urteil vom 21.01.2005, Az. 32 C 635/94

Quelle: Bericht der ra-online Redaktion, Pressemitteilung des LG Trier vom 21.06.2005

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