23.11.2024
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Dokument-Nr. 1636

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Urteil20.12.2005Landgericht München I33 o 16465/04
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Landgericht München I Urteil20.12.2005

München gewinnt Streit mit Mülltrans­port­un­ter­nehmen

Die Landes­hauptstadt München durfte den vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bemängelten Mülltrans­port­vertrag zum 31.12.2005 beenden. Das Landgericht München I hat die gegen die Stadt erhobene Klage auf Feststellung des Fortbestandes dieses Vertrages abgewiesen.

Beide Parteien hatten 1998 vor, sich als Bieter an der Ausschreibung eines "Vertrages über die thermische Behandlung von Abfällen aus dem Entsor­gungs­gebiet Donau-Wald" zu beteiligen. Da aber die Stadt nur die Kapazität zur Müllverbrennung hatte, die Klägerin nur die zum Transport des Mülls, vereinbarten sie am 20.02.1998, dass im Fall des Zuschlags für eine der Parteien diese die jeweils andere mit der ihr fehlenden Leistung beauftragen würde. Am 27.02.1998 erhielt die Stadt den Zuschlag und beauftragte daher ohne öffentliche Ausschreibung der Trans­port­leistung die Beklagte mit dem Transport. Der Vertrag sollte eine Laufzeit von 25 Jahren haben und nur bei grober schuldhafter Vertrags­ver­letzung einer Partei kündbar sein. Unvor­her­ge­sehene zukünftige Entwicklungen versprachen sich die Parteien, im Sinne kaufmännischer Loyalität zu berücksichtigen.

Die Beklagte führte die Mülltransporte in das Heizkraftwerk München Nord seit 01.01.1999 beanstan­dungsfrei durch. Kein Grund zum Streit zwischen den Par-teien daher, wenn nicht die EU-Kommission Anstoß daran genommen hätte, dass der Überkreuz­auftrag zwischen den Parteien seinerzeit ohne die nach europäischem Vergaberecht zwingend erforderliche ordnungsgemäße Ausschreibung vereinbart wurde. Sie forderte die (nach außen für alles öffentliche Handeln ver-antwortliche) Bundesrepublik Deutschland auf, den Missstand abzustellen und leitete ein Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren gegen diese ein. Mit Erfolg: Am 18.11.2004 stellte der EuGH fest, dass die Bundesrepublik ihre Koordi­nie­rungs­pflicht aus der Verga­be­richtlinie 92/50/EWG dadurch verletzt habe, dass der streit­ge­gen­ständliche Vertrag zwischen den Parteien ohne europaweite Ausschreibung abgeschlossen wurde.

Die Parteien verhandelten daraufhin über eine einvernehmliche Auflösung des Vertrages, um der Stadt die Gelegenheit zu geben, die Trans­port­leis­tungen neu auszuschreiben. Eine Einigung scheiterte an der Forderung der Klägerin nach einer Kompen­sa­ti­o­ns­zahlung in Höhe von 4,14 Mio. €. Die Stadt kündigte daher außerordentlich zum 31.12.2005, woraufhin die Klägerin vom Landgericht München I die Feststellung begehrte, dass der Trans­port­vertrag über diesen Tag hinaus fortbesteht.

Die für Kartellrecht zuständige 33. Zivilkammer verhandelte den Fall am 08.11.2005 und schlug den Parteien vor, den Vertrag gegen eine Kompen­sa­ti­o­ns­zahlung von 500.000,- € einvernehmlich aufzulösen. Dies lehnte die Klägerin ab und beharrte auf einer Zahlung von 4 Mio. €.

In dem jetzt verkündeten Urteil stellte die Kammer fest, dass das EuGH-Urteil vom 18.11.2004 eine nachträgliche "Änderung der Verhältnisse" darstellt, für die die Parteien eine Anpassung im Sinne gegenseitiger Loyalität vereinbart hatten. Erst durch den Spruch der Luxemburger Richter war klar, dass eine Aus-schreibung tatsächlich erforderlich gewesen wäre und der Vertrag daher beendet werden musste. Die Beklagte ist nach Art. 11 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung an Recht und Gesetz gebunden und konnte sich daher auch nicht auf den Stand-punkt stellen, dass in Luxemburg nicht sie, sondern die Bundesrepublik Deutschland verurteilt worden war. Schließlich hatte die Kommission bereits im Juli 2005 ein Mahnverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, um konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung des EuGH-Urteils zu erzwingen.

Da der Beklagten auch nicht zuzumuten war, die Trans­port­leis­tungen neu auszuschreiben und daneben für die gleichen Leistungen aufgrund des alten Vertrages ein zweites Mal an die Klägerin zu bezahlen, leiteten die Richter aus der Loyali­täts­klausel ein außer­or­dent­liches Kündigungsrecht für diesen Vertrag her. Dieses besteht zwar nur als "ultima ratio", wenn eine einvernehmliche Aufhebung nicht möglich ist. Insoweit hatte die Klägerin der Beklagten aber nur die Möglichkeit gelassen, den Vertrag gegen Zahlung von 4 Mio. € aufzulösen. Diesen Betrag hatte die Klägerin aus einer angesetzten Jahres­ge­winnmarge von 300.000,- € für die restlichen 18 Jahre der Vertrags­laufzeit, abgezinst auf heute, errechnet. Eine derart hohe Kompen­sa­ti­o­ns­zahlung ist nach Ansicht der Kammer der Beklagten aber nicht zuzumuten: Zum einen sahen die Richter es als problematisch an, dass die Klägerin nicht den Schnitt der bisherigen 7 Jahre angesetzt, sondern sich zwei einzelne Jahre herausgesucht hat. Vor allem aber hat die Klägerin auch ein eigenes unter­neh­me­risches Risiko zu tragen, das für die lange Restlaufzeit des Vertrages durchaus nicht unbeachtlich ist (etwa aufgrund steigender Kfz-Steuern, Benzin-Preisen oder Lohnkosten). Ob die Neuaus­schreibung zu einem um mehrere Millionen günstigeren Vertrags­ab­schluss für die Beklagte führt, wie die Klägerin behauptet hat, erachtete die Kammer keineswegs als nachgewiesen. Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass nicht allein die Beklagte das Risiko der Unwirksamkeit des Vertrages wegen Verstoß gegen das Vergaberecht tragen muss, so die Richter:

"Zu berücksichtigen ist aber ..., dass auch die Klägerin von dem gewählten Weg profitiert hat. Zum einen hat sie durch die Konstruktion der bedingten Überkreuz-Beauftragung gleichsam ihre Chance verdoppelt, [bei der Ausschreibung der Abfall­wirt­schafts­ge­sell­schaft Donau-Wald GmbH (AWG)] zum Zuge zu kommen, nämlich entweder als unmittelbarer Auftragnehmer … oder, wie geschehen, als Subun­ter­nehmerin der Beklagten. Zum anderen musste sie sich bei der Vergabe des Trans­por­t­auftrags durch die Beklagte keinem Verga­be­ver­fahren stellen, in dem sie unter Umständen auch hätte unterliegen können. Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei Abgabe ihres Angebots im Rahmen eines Ausschrei­bungs­ver­fahrens ihre Preise aufgrund der bestehenden Konkurrenz um den Auftrag hätte niedriger kalkulieren müssen und dadurch einen geringeren Gewinn hätte erzielen können."

500.000,- € hätte die Kammer als Kompensation weiterhin für angemessen erachtet; die Wahl einer Vertrags­auf­lösung gegen diese Summe hatte die Beklagte aber nicht, da die Klägerin mit ihrem letzten Angebot weiter bei 4 Mio. € lag. Daher erklärten die Richter die außer­or­dentliche Kündigung als letztes Mittel, sich aus dem Vertrag zu befreien, für zulässig.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 01/06 des LG München I vom 03.01.2006

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