15.11.2024
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Dokument-Nr. 3515

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Landgericht München I Urteil18.12.2006

Überwachung der Heimpflege per Videokamera ist kein KündigungsgrundSie rechtfertigt allerdings ein kontrolliertes Besuchsrecht

Wegen einer Überwa­chungs­kamera im Weihnachtsbaum und Zahlungs­rückstand wurde einer 96 Jahre alten Bewohnerin eines Pflegeheims der Heimvertrag gekündigt. Das Landgericht München I wies nun jedoch die Räumungsklage des Heimbetreibers gegen die Bewohnerin ab, da die Kündigung nicht gerechtfertigt war.

Der Sohn der Bewohnerin, der auch als deren Betreuer bestellt ist, hatte Ende Dezember 2004 im Pflegezimmer seiner Mutter einen Tannenbaum aufgestellt, in dem er eine Kamera versteckte, um die Pflege seiner Mutter zu kontrollieren. Die mit der Kamera heimlich aufgenommen Bilder wurden im Januar 2005 von dem Fernsehsender RTL in einer Sendung über Pflegeskandale in deutschen Pflegeheimen ausgestrahlt.

Daraufhin wurde der Heimvertrag durch den Heimbetreiber fristlos gekündigt und ein Hausverbot gegen den Sohn ausgesprochen, welches später in ein kontrolliertes Besuchsrecht umgewandelt wurde. Es kam zu einem Gespräch zwischen der Heimleitung und dem Sohn der Beklagten, welches dieser erneut heimlich filmte und RTL zur Verfügung stellte.

Eine weitere Kündigung erfolgte wegen Zahlungs­verzuges der Beklagten, da diese erhebliche Beträge des Entgelts für die Pflege­hei­m­un­ter­bringung nicht zahlte.

Der Heimbetreiber war der Ansicht, die Anbringung der versteckten Kamera und die Veröf­fent­lichung der Aufnahmen im Fernsehen stellten einen massiven Eingriff in das Persön­lich­keitsrecht der Mitarbeiter des Pflegeheims dar. Die falsche Darstellung der Pflege­ver­hältnisse habe eine massive Rufschädigung bewirkt, so dass ein Grund für eine außer­or­dentliche Kündigung vorliege. Die Beklagte sei stets ordnungsgemäß gepflegt worden und habe ausreichend Flüssig­keits­zufuhr erhalten. Deswegen sei auch das Entgelt für die Heimun­ter­bringung zu Unrecht gekürzt worden.

Dem widersprach die auch im Prozess durch ihren Sohn als Betreuer vertretene Beklagte. Es habe an ausreichender Flüssig­keits­zufuhr und Wundversorgung gefehlt. Die Station sei auch chronisch unterbesetzt gewesen. Dies habe sowohl die Installation der Kamera als auch die teilweise Nichtzahlung des Heimentgelts gerechtfertigt. Die Veröf­fent­lichung der Bilder sei das letzte Mittel gewesen, da die Heimleitung nicht gesprächsbereit gewesen sei.

Die Richterin der 28. Zivilkammer des Landgerichts München I kam nach umfangreicher Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass der Heimleitung keine Versäumnisse bei der Pflege der Beklagten nachzuweisen sind. Nach den Aussagen der Mitarbeiter des Heims und der behandelnden Ärztin sowie aufgrund der Angaben eines unabhängigen Gerichts­sach­ver­ständigen ist bestätigt, dass Flüssig­keits­mangel bei der Beklagten nicht vorlag. Den Heimbewohnern sind auch in den Nachtstunden Getränke gereicht worden. Die häufigen Verletzungen der Beklagten sind auf ihren schlechten Hautzustand zurückzuführen und nicht auf Pflegemängel.

Deswegen muss nun auch das restliche Entgelt für den Pflegeplatz in Höhe von knapp 20.000,- Euro nachbezahlt werden. Allerdings rechtfertigt dieser Zahlungs­rückstand die Kündigung nicht. Denn die Heimleitung hatte es versäumt, die nächtliche Getränkegabe ausreichend zu dokumentieren. Erst im Lauf des Prozesses hatte die Heimleitung dies vorgetragen und unter Beweis gestellt. Der Betreuer der Beklagten handelte daher nicht schuldhaft, als er von 13-stündigen Trinkpausen ausging und deswegen das Entgelt minderte. Denn tatsächlich würden solche langen Trinkpausen auch zu einer Entgelt­min­derung berechtigen.

Und auch die außer­or­dentliche Kündigung wegen der heimlichen Filmaufnahmen und deren Weitergabe an RTL war nicht gerechtfertigt. Hierzu führt das Urteil folgendes aus:

"Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht - wofür auch gute Gründe sprechen -, dass die heimlichen Filmaufnahmen und die Weitergabe derselben an den Fernsehsender RTL rechtswidrig waren, so muss doch die Kündigung des Vertrages das letzte Mittel sein. Im vorliegenden Fall existiert als milderes Mittel zur Kündigung das kontrollierte Besuchsrecht. Dieses ermöglicht es einerseits, dem Interesse der Beklagten, im Heim zu bleiben und dem Interesse des Betreuers, seine Mutter zu besuchen, gerecht zu werden, andererseits dem Interesse der Klägerin, vergleichbare Vorfälle wie die heimliche Kameraan­bringung zu verhindern, Rechnung zu tragen. Tatsächlich konnte das seit nahezu zwei Jahren bestehende kontrollierte Besuchsrecht ähnliche Vorfälle erfolgreich verhindern. Zutreffend ist, dass das kontrollierte Besuchsrecht die Belastung der Klägerin durch "kontinuierliche, unberechtigte und geschäfts­schä­digende Vorwürfe" (....) nicht umfassend zu verhindern mag, es trifft jedoch nicht zu, dass die Klägerin gegen rechtswidrige rufschädigende Äußerungen nur durch Kündigung des Heimvertrages vorgehen kann. Denn es bleibt der Klägerin unbenommen, mit dem dafür vorgesehenen rechtlichen Instrumentarium gegen den Betreuer selbst als eigentlichem Störer vorzugehen, sofern sie derartige Ansprüche für gegeben erachtet. Die für die Klägerin und ihre Mitarbeiter lästige Ausein­an­der­setzung mit dem "schwierigen" Angehörigen ihrer Heimbewohnerin kann ihr nicht durch die Kündigung erspart werden. Hier gehen die auch durch das Heimgesetz besonders geschützten Interessen der Bewohnerin, für die ein nochmaliger Umzug mit 96 Jahren eine Zumutung wäre, letztlich vor. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte persönlich ein eigenes Verschulden an der schwierigen Situation nicht trifft."

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 89/06 des LG München I vom 18.12.2006

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