18.01.2025
Urteile, erschienen im Dezember 2024
  Mo Di Mi Do Fr Sa So
48       1
49 2345678
50 9101112131415
51 16171819202122
52 23242526272829
1 3031     
Urteile, erschienen im Januar 2025
  Mo Di Mi Do Fr Sa So
1   12345
2 6789101112
3 13141516171819
4 20212223242526
5 2728293031  
Unser Newsletter wird demnächst umgestellt...

Als Nachfolger des erfolgreichen Portals kostenlose-urteile.de werden wir demnächst auch dessen Newsletter übernehmen und unter dem Namen urteile.news weiter betreiben.

Solange können Sie sich noch über kostenlose-urteile.de bei unserem Newsletter anmelden. Er enthält trotz des Namens kostenlose-urteile.de alle neuen Urteilsmeldungen von urteile.news und verweist auch dahin.

Wir bitten für die Unannehmlichkeiten um ihr Verständnis.

> Anmeldung und weitere Informationen
18.01.2025  
Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
ergänzende Informationen

Landgericht Marburg Urteil19.07.1995

500.000 DM Schmerzensgeld für achteinhalb Jahre unrechtmäßiger Freiheits­ent­ziehungKranken­haus­träger zu hoher Schmer­zens­geld­zahlung für rechtswidrige Unterbringung in psychiatrischer Klinik verurteilt

Die gutachterliche Fehlbeurteilung in einer psychiatrischen Klinik führte zu einer langjährigen Freiheits­ent­ziehung in der Einrichtung, in der es überdies zu fehlerhaften ärztlichen Behandlungen kam. Das Landgericht Marburg hat dem betroffenen Mann für diese achteinhalb Jahre währende rechtswidrige Unterbringung ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 DM zugesprochen, welches ihm der Kranken­haus­träger zu bezahlen hat.

Der Kläger befand sich zunächst aufgrund fehlerhaft erstatteter Gutachten in der Klinik. Bei ihm wurden die Unter­brin­gungs­vor­aus­set­zungen des § 1 HFEG (Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistes­schwacher, rauschgift- oder alkohol­süchtiger Personen) unzutreffend bejaht. Danach sind "geisteskranke" und "geistesschwache" Menschen in einer geschlossenen Kranke­n­ab­teilung oder einer anderen geeignete Verwahrung unterzubringen, wenn aus ihrem Geisteszustand oder ihrer Sucht eine erhebliche Gefahr für ihre Mitmenschen oder für sich selbst droht und diese nicht anders abgewendet werden kann.

Grob fahrlässige Fehlbe­gut­achtung

Die Klinikärzte hatten dem Kläger unzutreffend Schwachsinn attestiert und eine bestehende Selbst- bzw. Fremdgefährdung angenommen. Dies, obwohl der Kläger lediglich minderbegabt war, nicht aber über einen IQ unter 70 Punkten verfügte. Zudem leiteten die Ärzte fehlerhaft aus dem bloßen Vorhandensein des Schwachsinns eine Selbst- oder Fremdgefährdung ab. Sie bejahten also unzutreffend die Unter­brin­gungs­vor­aus­set­zungen, wobei sie grob fahrlässig handelten.

Fehlbehandlung während der Unterbringung

Während seiner Unterbringung wurde der Kläger mehrfach nach Tätlichkeiten zwangsweise fixiert. Ferner wurde er während der Unterbringung fehlerhaft behandelt, indem ihm Medikamente ohne entpsrechende Indikation und in überhöhter Dosierung verordnet wurden. Die Medikamente führten zu zahlreichen Nebenwirkungen.

Aufgrund der zunächst rechtswidrigen Unterbringung entwickelte sich psychische Erkrankung, die Unterbringung rechtfertigte

Nachdem der Kläger über vier Jahre rechtswidrig in der Klinik untergebracht war, entwickelte sich schließlich ein psychiatrischer Befund, nach dem die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung schließlich vorlagen. Das Landgericht Marburg entschied jedoch, dass in die für die Schmer­zens­geld­be­messung maßgebliche Dauer der Freiheitsentziehung auch die Unterbringung in den Zeiträumen mitein­zu­be­ziehen sind, in denen das Merkmal der Fremdgefährdung beim Kläger eingetreten war. Denn dies stellte sich als Folge der voraus­ge­gangenen wider­recht­lichen Freiheits­ent­ziehung und der vorangegangenen fehlerhaften Behandlung und damit im Rahmen haftungs­aus­fül­lender Kausalität als aus den Rechts­gut­ver­let­zungen erwachsender Schaden dar.

Für lange Freiheits­ent­zie­hungen fehlt es an gesicherten Wertungs­maß­stäben

Das Landgericht hielt für die achtein­halb­jährige Freiheits­ent­ziehung in der psychiatrischen Klinik ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 DM für angemessen und ausreichend. Das Gericht konstatierte dabei, dass es keine gesicherten Vergleichsfälle gebe. Es zitierte einige Schmer­zens­geld­ver­fahren aufgrund Freiheits­entzugs, in denen die Dauer der Freiheits­ent­ziehung allerdings deutlich unter den streit­ge­gen­ständ­lichen achteinhalb Jahren lag. Dabei stellte das Gericht fest, dass sich eine einheitliche Rechtsprechung und sichere Wertungs­maßstäbe zur Bemessung des Schmer­zens­geldes bei Freiheits­ent­zie­hungen bislang nicht abgebildet haben.

Schmerzensgeld bemisst sich nicht starr nach Tagessätzen für Freiheits­ent­ziehung

Neben dem Zeitablauf sind der Grad des Verschuldens, die Auswirkungen für den Betroffenen im Rahmen seines Umfelds und alle anderen Wertungs­ge­sichts­punkte zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zeitablaufs vertrat das Gericht die Auffassung, dass Freiheits­ent­ziehung und damit verbundene Beein­träch­ti­gungen mit steigender Dauer nicht als weniger belastend empfunden werden. Dies belege der vorliegende Fall, in dem der Kläger während der gesamten Dauer der Unterbringung durch Rechtsmittel gegen die Unter­brin­gungs­be­schlüsse, Entlas­sungs­anträge, Schreiben an behandelnde Ärzte und Beauftragung von Rechtsanwälten versucht habe, ein Ende der Unterbringung herbeizuführen. Dabei gab er immer wieder zu erkennen, dass er die Unterbringung nicht hinnahm und jederzeit als belastend empfand.

Weitere schmer­zens­gel­der­höhende Faktoren

Bei der Schmer­zens­geld­be­messung berücksichtigte das Gericht, dass der Kläger durch die jahrelange Unterbringung Einschränkungen im psychosozialen Bereich erfuhr und eine Entwicklung zur Einsamkeit eintrat. Ferner wurde der Kläger alkoholabhängig, was unter anderem auf die trauma­ti­sierende Wirkung zurückzuführen war.

Schmer­zens­gel­der­höhend wirkte sich ebenfalls die langjährige Verweigerung der Akteneinsicht durch den beklagten Kranken­haus­träger aus. Erschwerend bei der Schmer­zens­geld­be­messung berücksichtigte das Gericht ferner die grobe Fahrlässigkeit bei der Erstellung der Gutachten sowie die Tatsache, dass sich bei dem Kläger erst durch die von ihm erlittenen Unter­brin­gungs­be­din­gungen ein die weitere Unterbringung tragender psychiatrischer Befund ausgebildet hat. Einen weiteren erschwerenden Aspekt stellen die infolge der Medika­men­ten­ver­ab­reichung aufgetretenen zahlreichen Nebenwirkungen und die noch Jahre nach der Unterbringung bestehenden Spätdyskinesien dar.

Fälle mit vergleichbarem Schmerzensgeld betreffen Querschnitts­läh­mungen im Jugendalter

Im Vergleich zu den bisherigen von deutschen Gerichten zuerkannten höchsten Schmer­zens­geld­be­trägen, in denen es um Fälle schwerster Querschnitts­lähmung bei noch jungen Menschen ging, vertrat das Landgericht schließlich die Auffassung, dass die vorliegende langjährige Freiheits­ent­ziehung zwar als weniger gravierend einzustufen sei. Jedoch könne mit Blick auf die Genug­tu­ungs­funktion des Schmer­zens­geldes nicht verkannt werden, dass vorliegend - anders als bei durch Verkehrsunfälle oder ärztliche Behandlungsfehler verursachten Beein­träch­ti­gungen - über Jahre hinweg schuldhaft fehlerhaft agiert wurde und es nicht um ein einmaliges Fehlverhalten ging.

Den Betrag von 500.000 DM hielt das Gericht schließlich für ausreichend und angemessen, um dem Kläger einen Ausgleich für die erlittenen Beein­träch­ti­gungen zu ermöglichen und zugleich ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, dass er Unrecht erlitten hat.

Quelle: VersR 1995, 1199, ra-online (zt/we)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil22712

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI