15.11.2024
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Landgericht Coburg Urteil28.11.2001

Kleinkind verursacht Chaos in Apotheke: Zum Umfang der elterlichen Aufsichts­pflicht über ein 2-jähriges KindKind muss nicht unbedingt stets an der Hand gehalten werden

Eltern müssen Kleinkinder in Geschäften nicht stets an der Hand führen. Nur in Läden, in denen schon bei kurzem Loslassen mit einer Schadens­ver­ur­sachung durch das Kind gerechnet werden muss, ist besondere Vorsicht geboten.

Und Apotheken gehören nicht zu den besondere Obhut erfordernden Räumen, entschieden jetzt Amtsgericht Lichtenfels und Landgericht Coburg. Sie wiesen deshalb die Schaden­s­er­satzklage eines Apothekers gegen die Kindesmutter ab, deren zweijähriger Sohn die Computeranlage der Apotheke durch einen Knopfdruck hatte abstürzen lassen. Eine Verletzung der Aufsichts­pflicht sei nicht zu erkennen.

Die beklagte Mutter musste ihren Sprössling in der Apotheke kurz von der Hand lassen, um den Kinderwagen durch die Eingangstüre zu bugsieren. Der Kleine nutzte die Freiheit zur Expedition hinter die Verkaufstheke - wo er das verlockende Bonbonglas aufgestellt wusste. Auf dem Weg dorthin fiel sein Blick aber auf den leuchtend roten Hauptschalter der Stromversorgung. Dem Blick folgte der Finger, diesem der Totalausfall der Computeranlage. Kosten, um die wieder zum Laufen zu bringen: rund 4.300,- DM. Diesen Betrag verlangte der Apotheker von der Mutter, die seiner Meinung nach ihre Aufsichts­pflicht verletzt hatte.

Amtsgericht Lichtenfels und Landgericht Coburg sahen es anders. Zwar sei bei Kleinkindern grundsätzlich zu verlangen, dass der Aufsichts­pflichtige jederzeit eingreifen könne. Das bedeute aber gerade nicht, dass das Kind ununterbrochen an der Hand geführt werden müsse. Denn Ladengeschäfte gehörten üblicher Weise nicht zu der Art von Orten, an denen Kinder bereits bei kurzem Loslassen Schäden herbeiführen könnten. Anders liege es z. B. dann, wenn Sachen ausgestellt und auch durch Kleinkinder leicht umgestoßen werden könnten. Das sei bei einer Apotheke aber nicht der Fall. Und damit, dass ihr Nachwuchs den Stromschalter betätigen könnte, habe die Beklagte nicht rechnen müssen. Eine andere Sicht der Dinge würde nach Meinung der Gerichte dazu führen, dass Eltern ihre Kinder festbinden müssten, um einer Haftung zu entgehen – was man selbstredend nicht verlangen könne.

Erläuterungen
Amtsgericht Lichtenfels, Az: 1 C 198/01

Landgericht Coburg, Az: 32 S 163/01

Zur Rechtslage:

Grundsätzlich hat der Satz „Eltern haften für ihre Kinder“ natürlich seine Berechtigung. Umso jünger die Kinder sind, desto höhere Anforderungen stellen die Gerichte im Allgemeinen an die Aufsicht durch die Eltern bzw. Erzie­hungs­be­rech­tigten. Wenn ein Kind ohnehin zu üblen Streichen oder gar Straftaten neigt, müssen die Eltern gegebenenfalls sogar praktisch ständig eine unmittelbare Kontrolle ausüben. Wer dieser Aufsichts­pflicht nicht genügt, ist möglicherweise hohen Schaden­s­er­satz­ansprüchen ausgesetzt. Grundsätzlich gilt daher auch in diesem Bereich: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 832 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) [Haftung des Aufsichts­pflichtigen]:

(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minder­jäh­rigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichts­pflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichts­führung entstanden sein würde.

(2) Die gleiche Verant­wort­lichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.

Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 28.11.2001

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