Dokument-Nr. 2590
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Landgericht Braunschweig Beschluss06.06.2006
Einschließen von Gegendemonstranten durch Polizei war rechtswidrigRecht auf Versammlungsfreiheit wurde verletzt
Dies entschied das Landgericht Braunschweig aufgrund von Beschwerden von Personen, die auf dem Hagenmarkt in Braunschweig von Einsatzkräften der Polizei in einer Gruppe von ca. 250 Personen zwischen ca. 16.00 Uhr und 18.30 Uhr eingeschlossen worden waren, um den Ablauf der gerichtlich genehmigten NPD-Demonstration in der Innenstadt zu sichern.
Anders als die Polizei beurteilte die Beschwerdekammer die ca. 250 eingeschlossenen Gegendemonstranten nicht als bloße Ansammlung, sondern als Versammlung, die dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 des Grundgesetzes unterfällt:
Die Menschenmenge auf dem Hagenmarkt wollte gemeinschaftlich an der öffentlichen Meinungsbildung teilhaben und gegen die NPD, deren politische Ansichten und deren Aufzug in der Braunschweiger Innenstadt demonstrieren. Dabei blieb dahingestellt, ob die Meinungsäußerung auch verbal erfolgte, wofür eine gewisse Vermutung spricht. Da ca. 50 Personen im Bereich des Hagenmarktes auf der Straße gesessen haben, stellte bereits diese nonverbale Blockade eine von Art. 8 GG geschützte Ausdrucksform dar, welche ebenso wie Worte auf eine kollektive öffentliche Meinungskundgabe abzielte.
Die Kammer beurteilte das Verhalten der Gegendemonstranten nicht als unfriedlich, so dass der Grundrechtsschutz entfallen würde. Das Versammlungsgesetz behandelt nur Versammlungen mit gewalttätigem oder aufrührerischem Verlauf als unfriedlich. Straßenblockaden als passiver Widerstand kommen dafür nicht in Betracht. Aber auch die vereinzelten Flaschenwürfe aus der Menge machten die Versammlung noch nicht als Ganzes unfriedlich. Es gab wegen der Flaschenwürfe fünf Festnahmen und eine Strafanzeige gegen unbekannt. Diese geringe Anzahl der Flaschenwerfer aus einer Gruppe von mindestens 250 Personen kann nicht als kollektives Verhalten der ganzen Versammlung gewertet werden. Auch der Umstand, dass die Versammlung entgegen § 14 Versammlungsgesetz nicht angemeldet war, lässt den Schutz von Art. 8 GG nicht entfallen; denn dieser schützt auch Spontanversammlungen.
Vor der Ingewahrsamnahme der Gegendemonstranten durch Einschließen hätte es damit einer Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 Versammlungsgesetz bedurft. § 18 des Niedersächs. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NSOG), die Ingewahrsamnahme, auf welchen sich die Polizei stützte, komme als Rechtsgrundlage dagegen nicht in Betracht. Das Versammlungsgesetz sperrt als Spezialgesetz den Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht. Wegen des Schutzes der Versammlungsfreiheit hätte es deshalb einer eindeutigen und unmissverständlichen Auflösungsverfügung bedurft, welche für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck hätte bringen müssen, dass die Versammlung aufgelöst ist. Daran fehlte es aber. Da die Polizei der Auffassung war, es habe sich bei dem Geschehen auf dem Hagenmarkt nicht um eine Versammlung gehandelt, hatte sie auch nicht den Willen, die nach dem Versammlungsgesetz erforderliche Auflösungsverfügung zu erlassen. Eine Auflösungsverfügung hätte auch dem Willen der Polizei widersprochen, die Gegendemonstranten auf dem Hagenmarkt festzuhalten, um weitere Blockaden zu verhindern, da sie den Gegendemonstranten die Möglichkeit gegeben hätte, den Hagenmarkt zu verlassen. Dies hätte nach polizeilicher Prognose die Gefahr begründet, dass die Gegendemonstranten und die NPD-Demonstration aufeinandertreffen. Da es keine Auflösungsverfügung gab, war die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festzustellen.
Erläuterungen
§ 15 VersammlungsgesetzAbs. 1:
Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Abs. 3:
Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind ... oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.07.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des LG Braunschweig vom 16.06.2006
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