Dokument-Nr. 723
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Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil24.07.2001
Kündigung: Altenpflegerin verabreichte zuviel Beruhigungsmittel
Eine vorherige Abmahnung ist bei einer verhaltensbedingten Kündigung dann entbehrlich, wenn die Vertragsverletzung so schwerwiegend ist, dass der Arbeitnehmer nicht damit rechnen kann, dass der Arbeitgeber derartige Vertragspflichtverletzungen hinnehmen wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Pflichtverletzung nur fahrlässig begangen wurde. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 24.07.2001 entschieden (Az.: 1 Sa 78 e/01).
Die Parteien führten einen Kündigungsrechtsstreit. Die 40-jährige Klägerin war seit vier Jahren als Altenpflegerin in dem von der Beklagten betriebenen Alten- und Pflegeheim beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte auch, die von Ärzten verordneten Medikamente für Bewohner bereit zu stellen. Anfang Juli 2000 wurde sie abgemahnt, weil sie zwei Bewohnern Beruhigungszäpfchen verabreichte, obgleich der Arzt das Medikament abgesetzt hatte, was in den jeweiligen Medikamentenblättern vermerkt war. Es war streitig, ob sich die Medikamentenblätter an dem fraglichen Tag in den Patientenakten befanden. Ende August 2000 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2000, weil die Klägerin Mitte August für einen Bewohner 15 ml anstelle 10 ml eines Abführmittels und für zwei Bewohner 5 ml anstelle 2 ml eines Beruhigungsmittels bereitgestellt habe. Die Klägerin bestritt die erhöhten Dosierungen. Nachdem eine Zeugin die falsche Dosierung der Medikamente durch die Klägerin bestätigt hatte, entschied das Arbeitsgericht Lübeck mit Urteil vom 14.12.2000, dass das Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung endete. Eine fristlose Kündigung wäre nur dann berechtigt gewesen, wenn aufgrund der Fehldosierungen eine konkrete Gesundheitsgefährdung der betroffenen Bewohner bestanden hätte, was hier nicht der Fall gewesen sei. Mit der Berufung wandte sich die Klägerin weiter gegen die ordentliche Kündigung. Die Berufung blieb erfolglos.
Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht aus, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Klägerin für die drei Heimbewohner fahrlässig erheblich überdosierte Medikamente bereitgestellt habe. Dies sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung, weil es sich nicht um harmlose Medikamente gehandelt habe und eine Überdosierung gerade bei alten Patienten zu schwerwiegenden und unübersehbaren Folgen führen könne. Auch fahrlässige Verhaltensweisen könnten schwerwiegende Pflichtverletzungen beinhalten, da ein Arbeitnehmer auch bei Fahrlässigkeit sein Verhalten steuern könne. Vor dem Hintergrund der Gefährlichkeit der Medikamente, des Alters der Patienten, der Tatsache, dass diese oftmals hilflosen Patienten auf die zuverlässige Versorgung Dritter angewiesen seien, dürfe eine derartige Fahrlässigkeit nicht vorkommen. Bei solch schwerwiegenden Vertragsverletzungen könne der Arbeitnehmer nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber diese sanktionslos hinnehme. Einer vorherigen Abmahnung habe es deshalb nicht bedurft.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.09.2001
Quelle: Pressemitteilung Nr. 5/01 des LAG Schleswig-Holstein vom 04.09.2001
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