18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen vier Hände, die ineinander greifen.

Dokument-Nr. 32899

Drucken
Urteil27.04.2023Landesarbeitsgericht Berlin-BrandenburgL 21 U 231/19
ergänzende Informationen

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil27.04.2023

Kein Unfall­versicherungs­schutz für einen Leichenumbetter mit PTBSMögliche Folgen für Leichenumbetter sind in epide­mi­o­lo­gischen Studien noch nicht hinreichend erforscht

Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine von einem Leichenumbetter vorgebrachte Posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung (PTBS) nicht als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ (also als einer Berufskrankheit gleichgestellt) anerkannt werden kann. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung.

Der im Jahr 1963 geborene Kläger war in den Jahren 1993 bis 2005 als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegs­grä­ber­fürsorge e. V. tätig und führte in Mittel- und Osteuropa mit Schaufel und Bagger die Exhumierung und Identifizierung von Weltkriegstoten sowie von Toten der Jugosla­wi­en­kriege in den 1990er Jahren durch. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Gebeine der Toten aus den Grabanlagen zu bergen, Alter, Geschlecht und – soweit möglich – die Todesursache zu bestimmen sowie Körperbau, Größe und gefundene Gegenstände zu protokollieren und fotografisch zu dokumentieren. Seit dem Jahr 2005 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2017 wandte sich der Leichenumbetter an die beklagte Berufs­ge­nos­sen­schaft und trug vor, durch seine langjährige Tätigkeit sei es bei ihm zu gesund­heit­lichen Störungen mit einer lebenslangen Behinderung gekommen. Die Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnte es ab, seine Erkrankung einer Berufskrankheit gleichzustellen. Psychische Erkrankungen wie eine PTBS gehörten nicht zu den in der Berufs­krank­heiten-Liste aufgeführten Krankheiten. Die hiergegen gerichtete Klage des Leichen­um­betters vor dem Sozialgericht Potsdam blieb ohne Erfolg.

LAG: PTBS als Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses

Das Landes­so­zi­al­gericht hat die Entscheidung des Sozialgerichts Potsdam nunmehr bestätigt. Nach den aktuellen diagnostischen Kriterien (ICD-11) sei eine PTBS Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses oder einer Reihe von entsprechenden Ereignissen. Diese Eingangs­vor­aus­setzung sei nicht bereits durch die Berufs­be­zeichnung erfüllt, sondern es sei vielmehr auf die konkreten Einwirkungen abzustellen.

Statistisch relevanten Zahlen für Leichenumbetter fehlen

Zudem ließen sich aus epide­mi­o­lo­gischen Studien keine gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten eines Leichen­um­betters und einer PTBS ableiten. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehle es bereits an statistisch relevanten Zahlen zur Gruppe der Leichenumbetter. Auf Studien zu Berufen, die ähnliche Belastungen mit sich bringen, wie etwa Zivil- und Militä­r­be­statter, forensische Pathologen oder Mitarbeiter von Rettungs­diensten, könne mangels Übertragbarkeit nicht zurückgegriffen werden. Nicht ausreichend für die Anerkennung „wie eine Berufskrankheit“ sei die bloße Denkbarkeit bzw. Möglichkeit einer psychischen Belastung durch das langjährige Exhumieren, Bergen und Vermessen von Leichen und Leichenteilen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der unterlegene Leichenumbetter kann bei dem Bundes­so­zi­al­gericht die Zulassung der Revision beantragen.

Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil32899

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI