21.11.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 33002

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Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil15.06.2023

Kündigung eines Lehrers wegen YouTube-Video mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksamÜberschreitung des Grundrechts auf Meinung­s­äu­ßerung nicht eindeutig feststellbar

Das Landes­arbeits­gericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung eines Lehrers, der ein Video unter Verwendung eines Bildes des Tores eines Konzentrations­lagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ bei YouTube eingestellt hat, für unwirksam erachtet. Es hat das Arbeits­ver­hältnis jedoch auf Antrag des Landes Berlin zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.03.2022 gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 EUR aufgelöst.

Ein Lehrer des Landes Berlin hat im Juli 2021 als Stellungnahme zur Impfpolitik der Bundesregierung auf YouTube ein Video veröffentlicht, das mit der Darstellung des Tores eines Konzen­tra­ti­o­ns­lagers begann, bei dem der Origi­nal­schriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt war. Das Land Berlin hat dem Lehrer im August 2021 im Hinblick auf dieses Video fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 31.03.2022 mit der Begründung gekündigt, er setze in dem Video das staatliche Werben um Impfbe­reit­schaft in der Pandemie mit der Unrechts­herr­schaft und dem System der Konzen­tra­ti­o­nslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Natio­nal­so­zi­a­listen und missachte deren Opfer. Der Lehrer habe seine Schülerinnen und Schüler aufgefordert, seinen außer­dienst­lichen Aktivitäten im Internet zu folgen, und habe sich in anderen Videos auf YouTube als Lehrer aus Berlin vorgestellt.

Lehrer berief sich auf Meinung­s­äu­ßerung und Kunstfreiheit

Der Lehrer sieht in dem Video keine arbeits­rechtliche Pflicht­ver­letzung und keinen Grund für eine Kündigung seines Arbeits­ver­hält­nisses. Er habe mit dem privaten Video ohne Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis ausschließlich scharfe Kritik üben wollen. Das Video sei durch sein Grundrecht auf Meinung­s­äu­ßerung und Kunstfreiheit gedeckt.

Erneute Kündigungen wegen weiteren Videos

Mit einem weiteren, im Juli 2022 veröf­fent­lichten Video hat der Lehrer unter Hinweis auf seine Beschäftigung als Lehrer in Berlin unter anderem erklärt, die totalitären Systeme Hitlers, Stalins und Maos hätten zusammen nicht so viel Leid und Tod verursacht wie die „Corona-Spritz- Nötiger“. Daraufhin hat das Land Berlin im Juli 2022 erneut fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. Es sieht in dem Video von Juli 2022 eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust und einen eindeutigen Bezug zum Arbeits­ver­hältnis. Der Lehrer meint, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement und ausschließlich um seine persönliche Meinung, die dem Land Berlin nicht zugeordnet werden könnten.

Ergänzend Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses beantragt

Ergänzend zu den Kündigungen hat das Land Berlin in beiden Instanzen des gerichtlichen Verfahrens für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung von August 2021 beantragt, das Arbeits­ver­hältnis gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 16.000 EUR (ein Fünftel eines Monats­ver­dienstes des Lehrers pro Beschäf­ti­gungsjahr) nach Maßgabe von §§ 9 und 10 Kündi­gungs­schutz­gesetz zum 31.03.2022 aufzulösen. Aufgrund mehrerer Äußerungen des Lehrers in dem Video von Juli 2022 und im laufenden Gerichts­ver­fahren lägen schwerwiegende Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche und vertrauensvolle weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr erwarten ließen.

Arbeitsgericht erklärt erste außer­or­dentliche Kündigung für wirksam

Das Arbeitsgericht Berlin hatte die Klage des Lehrers abgewiesen und die erste außer­or­dentliche Kündigung für wirksam erachtet. Das Video könne nicht mehr als eine durch die Grundrechte auf Meinungs­freiheit und Kunstfreiheit gedeckte Kritik ausgelegt werden, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust dar. Eine Weiter­be­schäf­tigung des Lehrers sei dem Land aus diesem Grund unzumutbar.

LAG: Kündigungen unwirksam

Das Landes­a­r­beits­gericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und die außer­or­dent­lichen und ordentlichen Kündigungen unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls für unwirksam erachtet. Da das Land Berlin dem Personalrat betreffend die Kündigung von August 2021 nur den Screenshot des Eingangsbildes des Videos als Kündigungsgrund genannt habe, könne es sich im Kündi­gungs­schutz­ver­fahren auch nur darauf stützen. Das Landes­a­r­beits­gericht habe die Deutung des Lehrers, eine scharfe Kritik an der Coronapolitik zu äußern, nicht zwingend ausschließen und deshalb eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinung­s­äu­ßerung nicht eindeutig feststellen können. Der Umstand, dass er als Lehrer tätig sei, lasse keinen anderen Maßstab bei der Beurteilung zu.

Arbeits­ver­hältnis jedoch gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst

Das Landes­a­r­beits­gericht hat das Arbeits­ver­hältnis jedoch mit Wirkung zum 31.03.2022 nach §§ 9 und 10 Kündi­gungs­schutz­gesetz gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst, weil dem Land Berlin die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses mit dem Lehrer unter anderem im Hinblick auf Äußerungen im Video von Juli 2022 und im hiesigen Verfahren nicht mehr zumutbar sei. Das Landes­a­r­beits­gericht hat das Land Berlin insoweit zur Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 EUR (12 Monats­ver­dienste) an den seit 2008 bei ihm beschäftigten 62-jährigen Lehrer verurteilt. Das Landes­a­r­beits­gericht hat die Revision zum Bundes­a­r­beits­gericht nicht zugelassen. Gegen die Entscheidung können beide Parteien Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde bei dem

Quelle: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, ra-online (pm/ab)

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