21.11.2024
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Dokument-Nr. 3633

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Beschluss14.12.2006Kammergericht Berlin5 Ws 480/06 und 605/06 Vollz
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Kammergericht Berlin Beschluss14.12.2006

Gefangener hat kein Recht auf Aushändigung auslän­der­feind­licher AufkleberSicherheit und Ordnung der Anstalt hat Vorrang vor Interessen des Gefangenen

Strafgefangenen steht kein Anspruch gegen die Haftanstalt auf Aushändigung von Aufklebern zu, die einer Postsendung beilagen und die einen auslän­der­feind­lichen Inhalt haben. Dies hat das Kammergericht entschieden.

Der Antragsteller verbüßt wegen Gewaltdelikten und wegen Verwendens von Kennzeichen verfas­sungs­widriger Organisationen eine Freiheitsstrafe in der Justiz­voll­zugs­anstalt Tegel. Anfang 2006 ging für ihn eine von einem privaten Absender herrührende Postsendung ein. Die Anstalt händigte ihm diese aus, behielt aber die als Beilagen in demselben Umschlag übersandten sechs Aufkleber der NPD ein. Diese haben unter anderem folgenden Inhalt:

- "Berlin bleibt deutsch! NPD Die Nationalen, npd.de"

- "Jeder ist Ausländer. Nur nicht dort, wo er hingehört. NPD Die Nationalen"

- "Gute Heimreise. Jetzt NPD Die Nationalen" Hintergrundbild: links: vier Frauen mit viel Gepäck, davon drei mit Kopftüchern, vor einem Gittertor stehend, rechts: ein Minarett.

Auf Antrag des Gefangenen hatte eine Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Berlin zunächst entschieden, dass die Aufkleber an den Antragsteller herauszugeben seien. Schließlich handele es sich insoweit um Material einer politischen Partei, die bisher nicht für verfas­sungs­widrig erklärt worden sei. Die Einschätzung des Leiters der Justiz­voll­zugs­anstalt, dass die Aufkleber gegen Ausländer „hetzten“, sei nicht nachvollziehbar. Das Vollzugsziel sei nicht gefährdet, weil die Aufkleber keine gewalt­ver­herr­li­chende Tendenz hätten.

Dem ist der 5. Strafsenat des Kammergerichts nicht gefolgt.

Auf die vom Leiter der Justiz­voll­zugs­anstalt eingelegte Rechts­be­schwerde hat er die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben. Bei der nach §§ 33, 70 Straf­voll­zugs­gesetz erforderlichen Abwägung des Interesses des Gefangenen an der Aushändigung der Aufkleber gegenüber den Gefahren, die von ihnen ausgehen, gebühre der Wahrung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt der Vorrang. Im Beschluss heißt es insoweit:

„Die Anstalt kann nicht gezwungen werden, die dem Propagandazweck entsprechende Verwendung der Aufkleber durch ihre Aushändigung zu fördern. Werden sie außerhalb des Haftraums des Gefangenen geklebt und damit bestim­mungsgemäß zur Agitation verwendet, beeinträchtigt dies das friedliche und geordnete Zusammenleben in der Anstalt erheblich. Mit der Fürsorgepflicht, die dem Anstaltsleiter gegenüber allen ihm anvertrauten Gefangenen obliegt, ist es nicht zu vereinbaren, durch Aushändigung hierfür geeigneten Materials der politischen Agitation seitens eines Gefangenen Vorschub zu leisten, die anderen Gefangenen gegen ihren Willen etwa durch Aufkleben an die Tür des Haftraums aufgedrängt werden kann. Die Justiz­voll­zugs­anstalt Tegel ist eine Anstalt höchster Sicher­heitsstufe, in der viele Gefangene mit geringer Frustra­ti­o­ns­to­leranz untergebracht sind. Im Streitfall kommt hinzu, dass viele der Insassen ausländischer Staats­an­ge­hö­rigkeit oder Herkunft sind und durch das Aufkleben der gegen sie gerichteten Parolen in – begreifliche - Aufruhr versetzt werden können. Zu den Aufgaben der Vollzugsbehörde gehört es, die negative Infor­ma­ti­o­ns­freiheit … der ihr anvertrauten Gefangenen zu schützen; denn die Gefangenen können sich den ihnen aufgedrängten Informationen nicht in gleicher Weise entziehen wie in Freiheit lebende Menschen.“

Zum Gesamteindruck der Aufkleber heißt es weiter:

„Betrachtet man die darauf enthaltenen Aussagen in ihrem Zusammenhang, so sind die Aufkleber geeignet, Auslän­der­feind­lichkeit zu erwecken und zu verbreiten. Denn ihre Botschaft lässt sich zusammenfassen in den Parolen: ‚Deutschland den Deutschen’ – ‚Alle Ausländer raus’. … Integraler Bestandteil der aus den übersandten Aufklebern hervortretenden Ideologie ist … ein dem Rassedenken verhafteter Begriff. Ausländer ist danach jeder Nichtarier, unabhängig von seiner Staats­an­ge­hö­rigkeit. Der Aufkleber ‚Jeder ist Ausländer. Nur nicht, wo er hingehört’, enthält nicht nur diese Aussage als Worthülse, sondern macht deutlich, dass Ausländer im vorgenannten Sinne grundsätzlich nicht nach Deutschland gehören. Verstärkt wird diese Aussage durch den Aufkleber ‚Gute Heimreise’, der mehrere Frauen – zum Teil mit Kopftuch – und viel Gepäck zeigt. Da es sich bei dem Gepäck keineswegs um herkömmliche Reisekoffer handelt, entsteht der Eindruck einer überstürzten Ausreise unter unwürdigen Umständen – Bilder, die aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Vertreibung unerwünschter Menschen bekannt sind. Sie bedeuten, dass ‚Ausländer’ ohne jede Differenzierung nicht erwünscht sind und verschwinden sollen. Dies sind entgegen der Auffassung der Straf­voll­stre­ckungs­kammer allgemein bekannte Parolen der Neonazis.“

Auffällig sei auch die Parole „Berlin bleibt deutsch“. Denn diese sei wortgleich mit einem Titel eines Liedes der vom Kammergericht im Jahre 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuften Musikgruppe „Landser“. Für Eingeweihte der Szene rechtsradikaler Musik sei sie als solches und damit als Werbung zur Unterstützung jener Band zu erkennen. Einer Justiz­voll­zugs­anstalt sei aber aufgrund ihres Resozi­a­li­sie­rungs­auftrags untersagt, Werbung für eine – wenn auch zwischen­zeitlich aufgelöste – Gruppe zu dulden, mit deren Liedgut überwiegend strafbare Inhalte transportiert würden.

Erläuterungen

aus dem Gesetz:

§ 33 Pakete

(1) 1Der Gefangene darf dreimal jährlich in angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungs- und Genussmitteln empfangen. 2Die Vollzugsbehörde kann Zeitpunkt und Höchstmengen für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen. 3Der Empfang weiterer Pakete oder solcher mit anderem Inhalt bedarf ihrer Erlaubnis. 4Für den Ausschluss von Gegenständen gilt § 22 Abs. 2 entsprechend.

(2) 1Pakete sind in Gegenwart des Gefangenen zu öffnen. 2Ausge­schlossene Gegenstände können zu seiner Habe genommen oder dem Absender zurückgesandt werden. …

§ 70 Besitz von Gegenständen für die Freizeit­be­schäf­tigung

(1) Der Gefangene darf in angemessenem Umfange Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeit­be­schäf­tigung besitzen.

(2) Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands

1. mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre oder

2. das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 01/07 des KG vom 09.01.2007

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