21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 24550

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Urteil19.05.2016Kammergericht Berlin20 U 122/15
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • ArztR 2016, 304Zeitschrift: ArztRecht (ArztR), Jahrgang: 2016, Seite: 304
  • GesR 2016, 509Zeitschrift: GesundheitsRecht (GesR), Jahrgang: 2016, Seite: 509
  • MDR 2016, 1142Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2016, Seite: 1142
  • MedR 2017, 388Zeitschrift: Medizinrecht (MedR), Jahrgang: 2017, Seite: 388
  • RDG 2016, 186Zeitschrift: Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (RDG), Jahrgang: 2016, Seite: 186
  • VersR 2017, 551Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 2017, Seite: 551
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Vorinstanz:
  • Landgericht Berlin, Urteil07.05.2015, 86 O 218/13
ergänzende Informationen

Kammergericht Berlin Urteil19.05.2016

Unerkannter Herzinfarkt: Haftung eines Rettungs­sa­ni­täters wegen Stellung eigener Diagnose und unterlassener Hinzuziehung eines NotarztesAnwendung der Beweis­last­regeln zur Arzthaftung bei Tätigwerden des Rettungs­sa­ni­täters im Kompe­tenz­bereich des Arztes

Klagt ein Patient über akute Brustschmerzen, die offensichtlich keine herzfremde Ursache haben, muss der Rettungs­sa­nitäter einen Notarzt hinzuziehen. Er darf auf keinen Fall eine eigene Diagnose erstellen. Bleibt damit ein Herzinfarkt unerkannt, haftet dafür der Rettungs­sa­nitäter. Dabei gelten hinsichtlich der Ursächlichkeit zwischen Pflicht­wid­rigkeit und Verlet­zungs­folgen die Beweis­last­regeln zur Arzthaftung, da der Rettungs­sa­nitäter im Kompe­tenz­bereich des Arztes tätig war. Dies geht aus einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Morgen im September 2010 rief ein Mann die Berliner Feuerwehr, da er über erhebliche Atembeschwerden und Schmerzen im Brustbereich klagte. Er wurde schließlich von zwei Rettungs­sa­ni­tätern untersucht, die ein "Inter­co­s­tal­schmerz" diagnos­ti­zierten und dem Patienten rieten, zu seinem Hausarzt zu gehen. Dies tat er auch einige Stunden später. Der Hausarzt lieferte den Patienten wegen des Verdachts eines Herzinfarkts ins Krankenhaus ein, wo sich der Verdacht bestätigte. Während der Untersuchung im Krankenhaus erlitt der Patient einen Schlaganfall, was die Einsetzung mehrerer Stents nach sich zog. Der Patient machte dafür die Rettungssanitäter verantwortlich und verklagte daher das Land Berlin auf Zahlung von Schmerzensgeld.

Landgericht gibt Schmer­zens­geldklage statt

Das Landgericht Berlin gab der Schmer­zens­geldklage statt. Angesichts der geschilderten Symptome habe die Pflicht zur Verständigung eines Notarztes oder zum Transport in ein Krankenhaus bestanden. Denn den Rettungs­sa­ni­tätern habe es für die Klärung der Beschwerden an eigener Sachkunde gefehlt. Gegen diese Entscheidung legte das beklagte Land Berufung ein.

Kammergericht bejaht ebenfalls Schmer­zens­geldan­spruch

Das Kammergericht Berlin bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies daher die Berufung des Beklagten zurück. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu.

Fahrlässige Amtspflicht­ver­letzung durch Erstellung der Diagnose und unterlassener Hinzuziehung eines Notarztes

Die Rettungs­sa­nitäter haben ihre Amtspflicht fahrlässig verletzt, so das Kammergericht. Verfüge ein Patient über akute Brustschmerzen, die offensichtlich keine herzfremde Ursache haben, dürfe ein Rettungsassistent keine Diagnose stellen. Er sei vielmehr zur Hinzuziehung eines Notarztes verpflichtet. Dem Rettungsdienst obliege es in der Notrettung erste Hilfe zu leisten bzw. den Patienten soweit zu stabilisieren, dass er transportfähig wird, um ihn dann befördern zu können. Eine ärztliche Versorgung im eigentlichen Sinne bzw. eine abschließende Diagno­seer­stellung falle grundsätzlich nicht in den Aufgabenbereich des Rettungs­dienstes (vgl. § 2 Abs. 2 des Berliner Rettungs­dienst­ge­setzes).

Anwendung der Beweis­last­regeln zur Arzthaftung

Nach Ansicht des Kammergerichts könne sich der Kläger auf die Bewei­ser­leich­te­rungen des Arzthaf­tungs­rechts bei groben Behand­lungs­fehlern gemäß § 650 h Abs. 5 BGB berufen, um die Ursächlichkeit zwischen Amtspflichtverletzung und Verlet­zungs­folgen nachweisen zu können. Zwar seien die Beweisregeln auf das Handeln von Rettungs­sa­ni­tätern grundsätzlich nicht anwendbar. Dies gelte aber dann nicht, wenn der Rettung­s­as­sistent in den Kompe­tenz­bereich des Arztes tätig werde. So habe der fall hier gelegen. Die Amtspflicht­ver­letzung komme zudem einem groben Behand­lungs­fehler gleich.

Quelle: Kammergericht Berlin, ra-online (vt/rb)

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