Hessisches Landessozialgericht Urteil28.05.2008
Entschädigung wegen sexuellen Missbrauchs im Internat auch nach 40 JahrenOpferentschädigung kann auch für Taten vor Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes beansprucht werden
Erleidet ein Opfer gesundheitliche Schäden aufgrund eines sexuellen Missbrauchs, so ist ihm eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht.
Im konkreten Fall ist ein 1950 geborener Mann aus dem Werra-Meißner-Kreis Anfang der 60er Jahren in einem Internat im Landkreis Fulda von einem Heimerzieher sexuell missbraucht worden. Der Erzieher wurde zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der geschädigte Mann, der später einen Suizidversuch unternahm und eine Alkohol- sowie Medikamentenabhängigkeit entwickelte, beantragte im Jahre 2003 Opferentschädigung. Das Landesversorgungsamt Gießen lehnte diese jedoch mit der Begründung ab, die Gesundheitsstörungen könnten nicht mehr auf die 40 Jahre zurückliegende Tat zurückgeführt werden. Bereits vor dem Missbrauch sei der Kläger durch das Elternhaus, durch die unmenschliche und entwürdigende Internatserziehung sowie durch Mitschüler massiv traumatisiert worden. Die Tat des Heimerziehers sei daher nur mit geringer Wahrscheinlichkeit für die späteren psychischen und sozialen Störungen verantwortlich.
Sozialgericht und Landessozialgericht geben Klage auf Opferentschädigung statt
Anders beurteilten dies die Richter beider Instanzen nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens. Die aufgrund der schwerwiegenden Gesundheitsschäden eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % beruhe mit Wahrscheinlichkeit auf der Tat des Heimerziehers und sei entsprechend zu entschädigen. Die anderen negativen Ereignisse seien zwar Risikofaktoren dafür, Opfer eines Missbrauchs zu werden. Sie stellten jedoch keine außergewöhnliche Bedrohung dar.
Auch vor Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes geschädigte Personen haben Anspruch
Einer Entschädigung stehe auch nicht entgegen, dass die Tat vor dem Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes im Jahre 1976 begangen worden sei. Denn auch die vor diesem Zeitpunkt geschädigten Personen seien anspruchsberechtigt, soweit sie infolge des tätlichen Angriffs schwerbeschädigt sind und Bedürftigkeit vorliegt. Hiervon sei bei dem Kläger, der seit 2003 Sozialhilfeleistungen bezieht, auszugehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.06.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 20/08 des LSG Hessen vom 16.06.2008