21.11.2024
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Dokument-Nr. 3739

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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil15.12.2006

Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch nach anhängiger Kündi­gungs­schutzklage?Interessen von Arbeitgeber und -nehmer müssen gegeneinander abgewogen werden

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat entschieden, es müssten besondere Umstände vorliegen, um einen Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch eines Arbeitnehmers nach erstin­sta­nz­lichem Obsiegen in einem Kündi­gungs­schutz­ver­fahren zu versagen. Solche zusätzlichen Umstände seien nur solche, die nicht bereits Gegenstand der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung gewesen seien, denn sie müssten neben den für die Voraussetzung zur Rechtfertigung der Kündigung vorzutragenden Tatsachen die Interessenlage der Beteiligten prägen. Bei der hierbei vorzunehmenden Abwägung seien diejenigen Interessen des Arbeitgebers denjenigen des Arbeitnehmers gegenüber zu stellen.

Dem Rechtsstreit vorausgegangen war ein Kündi­gungs­schutz­ver­fahren, in dem die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt worden war. Auslöser für die Kündigung war der vom Arbeitgeber erhobene Verdacht, der als Kraftfahrer eingesetzte Mitarbeiter habe vorsätzlich Verkehrsunfälle verursacht und damit zu Lasten der Versicherung des Lastkraftwagens Betrugs­hand­lungen begangen. In dem Kündi­gungs­schutz­ver­fahren hatte der Arbeitnehmer in zwei Instanzen obsiegt und das Verfahren war nunmehr vor dem Bundes­a­r­beits­gericht anhängig. Der Arbeitnehmer hatte nachdem erstinstanzlich die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt worden war, Klage auf Weiter­be­schäf­tigung erhoben. Der Arbeitgeber vertrat dagegen die Ansicht, einer vorläufigen Weiter­be­schäf­tigung des Fahrers stehe sein überwiegendes Interesse an einer Nicht­be­schäf­tigung entgegen. Der Mitarbeiter stehe nach wie vor in Verdacht, mit Fahrzeugen des Arbeitgebers Betrugs­ver­hand­lungen zu Lasten der KfZ-Versicherung begangen zu haben. Das Ermitt­lungs­ver­fahren sei noch nicht eingestellt. Ein Interesse des Mitarbeiters an der Weiter­be­schäf­tigung sei nicht erkennbar.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Arbeitgebers hatte Erfolg. Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht vertrat die Ansicht, der Mitarbeiter könne seine Weiter­be­schäf­tigung nicht verlangen, obwohl seine Kündi­gungs­schutzklage in den ersten beiden Instanzen Erfolg hatte, da das Arbeit­ge­be­r­in­teresse an der Nicht­be­schäf­tigung vorliegend überwiege.

Es führte in seiner Entscheidung aus, dass in der Regel ein Arbeitnehmer seine Weiter­be­schäf­tigung gerichtlich verlangen könne, wenn seine Kündi­gungs­schutzklage erstinstanzlich erfolgreich gewesen sei. Wenn in einem Kündi­gungs­schutz­prozess zugunsten des Arbeitnehmers in erster Instanz ein obsiegendes Urteil ergangen sei, müssten deshalb besondere Umstände hinzutreten, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergebe, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.

Derartige "zusätzlichen Umstände" könnten nur solche sein, die nicht bereits Gegenstand der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung nach § 626 BGB oder § 1 KSchG gewesen sind. Maßgeblich seien deshalb nur Umstände, die neben den für die Voraussetzung zur Rechtfertigung der Kündigung vorzutragenden Tatsachen die Interessenlage der Beteiligten des Arbeits­ver­hält­nisses prägen würden. Hierbei seien diejenigen Interessen des Arbeitgebers denjenigen des Arbeitnehmers gegenüber zu stellen.

Diese Gegen­über­stellung der Interessen habe im Streitfall ergeben, dass trotz Vorliegens einer unwirksamen Verdachts­kün­digung (vom Arbeitgeber behauptetes vorsätzliches Herbeiführen von Verkehr­s­un­fällen mit einem LKW im öffentlichen Straßenverkehr) dessen Interesse an der Nicht­be­schäf­tigung gegenüber dem Beschäf­ti­gungs­in­teresse des Arbeitnehmers überwiege. Zu berücksichtigen sei, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht in den Räumen des Arbeitgebers, sondern außerhalb dessen Einflussbereich und Kontrolle erbringe. Ferner bestehe bei jedem vorsätzlichen Herbeiführen von Verkehr­s­un­fällen neben der Gefahr für das Vermögen des Arbeitgeber und des Versi­che­rungs­un­ter­nehmens die Gefahr der Verletzung Unbeteiligter und der Arbeitgeber sei im Außenverhältnis auch für das Verhalten seiner Mitarbeiter verantwortlich. Der hohe Rang der betroffenen Rechtsgüter Dritter verpflichte ihn, alles zu tun um jede vermeidbare Gefahr bei dem Betrieb der Fahrzeuge auszuschließen. Bei der vorzunehmenden Abwägung der Interessen müsse zwar auch das verfas­sungs­rechtlich geschützte Beschäf­ti­gungs­in­teresse des Mitarbeiters berücksichtigt werden. Im Hinblick auf seine Stellung als Kraftfahrer und die Art seines Arbeitsbereichs habe der Arbeitgeber aber ein berechtigtes Interesse, ihn solange von Fuhrtätigkeiten im öffentlichen Straßenverkehr fernzuhalten, bis sich die Unhaltbarkeit des gegenüber ihm erhobenen Vorwurfs des vorsätzlichen Verursachens von Verkehr­s­un­fällen herausgestellt habe.

Erläuterungen

Vorinstanz

Arbeitsgericht Wiesbaden vom 2. November 2005 - 3 Ga 435/05

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/07 des LAG Hessen vom 02.02.2007

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