24.11.2024
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Dokument-Nr. 4935

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Urteil29.06.2007Hessisches Landesarbeitsgericht3 Sa 1550/06
Vorinstanz:
  • Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil17.08.2006, 19 Ca 2442/06
ergänzende Informationen

Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil29.06.2007

Kündigung eines Umschülers aufgrund Tätlichkeit während einer Klassenfahrt unwirksamVorfall berührt weder vertragliche noch betriebliche Interessen des Arbeitgebers

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat entschieden, eine auf einer Klassenfahrt begangene Tätlichkeit eines Umschülers im öffentlichen Dienst stelle keinen Kündigungsgrund dar, wenn damit eine konkrete Beein­träch­tigung des Umschu­lungs­ver­hält­nisses nicht verbunden sei. Schaden­s­er­satz­ansprüche wegen eines "Auflö­sungs­ver­schuldens" richteten sich auch im Umschu­lungs­ver­hältnis nach § 628 Abs. 2 BGB.

Hintergrund des Rechtsstreits war ein befristetes Umschu­lungs­ver­hältnis, in dem ein ca. 40 Jahre alter Umschüler bei einem öffentlichen Arbeitgeber zum Fachan­ge­stellten umgeschult werden sollte. Ungefähr zwei Monate nach Beginn des Umschu­lungs­ver­hält­nisses fand eine von der Berufsschule organisierte einwöchige Klassenfahrt statt, an der auch der Umschüler teilnahm. Die anderen Teilnehmer der Fahrt kannte er nicht, da es sich um einen fremden Klassenverband handelte. Am dritten Tag der Fahrt kam es zwischen ihm und einer Mitschülerin zu einer zunächst verbalen Ausein­an­der­setzung, bei der er dann der Mitschülerin ins Gesicht schlug. Gegenüber dem mitfahrenden Lehrer erklärte er, die Mitschülerin habe ihn provoziert, die Mitschüler seien insgesamt sozialer Abschaum. Daraufhin wurde er noch an diesem Tag von der Klassenfahrt und in der Folgezeit aus der Berufsschule ausgeschlossen. Sein Arbeitgeber kündigte ihm wegen des Vorfalls fristlos. Der Umschüler erhob Kündi­gungs­schutz- und Schadens­fest­stel­lungsklage. Er behauptete, er sei von der Schülerin zweimal ins Gesicht geschlagen worden, nachdem er sie auf ihr eigenes, ungebührliches Verhalten angesprochen habe. Erst daraufhin habe er seinerseits sie einmal geschlagen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Kündi­gungs­schutz­antrags stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, die jedoch keinen Erfolg hatten. Auch das Hessische Landes­a­r­beit­gericht ist zu der Auffassung gekommen, das Verhalten des Umschülers rechtfertige die außer­or­dentliche Kündigung nicht.

Die Kündigung eines Umschu­lungs­ver­hält­nisses aufgrund eines außer­dienst­lichen Verhaltens setzte generell eine konkrete Beein­träch­tigung des Vertrags­ver­hält­nisses voraus. Hieran fehle es, weil durch das Verhalten des Umschülers weder vertragliche noch betriebliche Interessen berührt worden seien. Er habe nicht gegen vertragliche Nebenpflichten des Umschu­lungs­ver­hält­nisses verstoßen, auch wenn berücksichtigt werde, dass Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten haben, dass das Ansehen des Arbeitgebers bzw. des Amtes nicht beeinträchtigt werde. Allerdings gehe es zu weit, das außer­dienstliche Verhalten des Klägers als Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zu qualifizieren, weil das Ansehen des öffentlichen Dienstes berührt worden sein mag. Denn die Interessenlage unterscheide sich von der im Arbeits­ver­hältnis, weil ein Umschüler nicht Repräsentant des öffentlichen Dienstes sei. Auch könne nicht angenommen werden, dass die Öffentlichkeit das Verhalten eines Umschülers im öffentlichen Dienst an einem strengeren Maßstab messe, als dasjenige eines im privaten Bereich eingesetzten.

Betriebliche Interessen des Arbeitgebers seien durch das außer­dienstliche Verhalten ebenfalls nicht tangiert worden. Das Verhalten habe sich weder in dem Betrieb ereignet, noch richtet es sich gegen den Arbeitgeber. Es könne auch sonst keine konkreten Auswirkungen in diesem Bereich nach sich ziehen, insbesondere sei eine Gefährdung des Betrie­bs­friedens nicht zu befürchten. Bei den Ausein­an­der­set­zungen anlässlich der Klassenfahrt waren keine Personen beteiligt, mit denen der Umschüler in seiner betrieblichen Ausbildung zusam­me­n­a­r­beiten müsse.

Keiner Erörterung bedurfte die Frage, ob der Ausschluss aus der Berufsschule einen Kündigungsgrund darstellen könnte, weil dadurch der Ausbil­dungszweck der Umschulung gefährdet sein könnte. Der Arbeitgeber hatte seinerzeit den Personalrat zu diesem Gesichtspunkt nicht gehört. Damit war es ihm verwehrt, sich auf diesen Kündigungsgrund zu berufen.

Auch die Berufung des Umschülers hatte nach Ansicht des Berufungs­ge­richts keinen Erfolg, denn die die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen für einen Schaden­s­er­satz­an­spruch lagen nicht vor.

§ 23 BBiG scheide als Anspruchs­grundlage für einen Schaden­s­er­satz­an­spruch aus, denn auf das Umschu­lungs­ver­hältnis seien die Vorschriften des BBiG über das Berufs­aus­bil­dungs­ver­hältnis insbesondere § 23 BBiG nicht anwendbar. Auf § 628 Abs. 2 BGB könne der Schaden­s­er­satz­an­spruch ebenfalls nicht gestützt werden.

Das hierfür erforderliche Auslö­sungs­ver­schulden müsse das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB haben. Fehle es - wie im Streitfall - hieran, so scheidet ein Schaden­s­er­satz­an­spruch aus. Zwar kann auch der Ausspruch einer unwirksamen Kündigung eine Vertrags­ver­letzung darstellen und der Arbeitgeber hätte bei gehöriger Sorgfalt erkennen können, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung nicht wirksam ist. Allerdings habe der Arbeitgeber lediglich leicht und nicht grob vertragswidrig gehandelt, denn Tätlichkeiten seien grundsätzlich geeignet, einen Grund für eine fristlose Kündigung zu darzustellen. Für den Arbeitgeber sei jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich gewesen, dass die Tätlichkeit im Streitfall wegen ihres außer­dienst­lichen Charakters als Kündigungsgrund ausscheide.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/07 des LAG Hessen vom 02.10.2007

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