21.11.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 4678

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Urteil14.06.2007Hessisches Landesarbeitsgericht11 Sa 296/06
Vorinstanz:
  • Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil22.12.2006, 3 Ca 72/05
ergänzende Informationen

Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil14.06.2007

Betrie­bs­ver­legung: Versetzung von mehreren 100 Kilometern nicht zumutbarArbeitnehmer muss nicht folgen

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat entschieden, dass ein Arbeitgeber, der die gesamte Betriebsstätte an einen anderen Ort verlegt, bei der Ausübung seines Direk­ti­o­ns­rechts die indivi­du­a­l­recht­lichen Grenzen hinsichtlich des Ortes der Arbeitsleistung zu beachten hat. Bei einer Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte von weit mehr als 200 Kilometern gebe es keine allgemeine Folgepflicht des Arbeitnehmers und keine entsprechende Weisungs­be­fugnis des Arbeitgebers.

Eine Mitarbeiterin, die verheiratet und Mutter von zwei noch jüngeren Kindern war, arbeitete seit mehr als 10 Jahren in einem Betrieb im Rhein-Main-Gebiet. Nach Ende ihrer Elternzeit wollte die Mitarbeiterin in dem Betrieb wieder ihre Arbeit aufnehmen. Der Arbeitgeber forderte sie ohne Erfolg zu einzelnen Arbeits­e­in­sätzen von jeweils nicht mehr als zweiwöchiger Dauer im Ruhrgebiet auf, um in der dortigen Perso­na­l­ab­teilung "Arbeitsspitzen" abdecken zu können. In einem arbeits­ge­richt­lichen Verfahren verlangte die Mitarbeiterin Zahlung der Vergütung für mehrere Monate, die der Arbeitgeber verweigert hatte, weil er der Ansicht war, die Mitarbeiterin hätte mangels einer Vereinbarung über den Arbeitsort auch im Ruhrgebiet arbeiten müssen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Arbeitgebers hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Auch das Hessische Landes­a­r­beit­gericht ist zu der Auffassung gekommen, der Klägerin stünden die eingeklagten Beträge im Wesentlichen zu. Zwar habe die Mitarbeiterin über mehrere Monate nicht gearbeitet. Allerdings habe sie ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten, der Arbeitgeber habe sie jedoch nicht angenommen. Deshalb sei er in Annahmeverzug geraten.

Das Berufungs­gericht sah den von dem Arbeitgeber im Ruhrgebiet angebotenen Arbeitsplatz als nicht vertragsgemäß an. Zwar hätten die Parteien im Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Festlegung des Arbeitsortes aufgenommen. Allerdings hätten sie jedoch auch ausdrücklich keinen Verset­zungs­vor­behalt vereinbart. Enthalte der Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Vereinbarung zum Ort der Arbeitsleistung, sei er nach §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berück­sich­tigung der Verkehrssitte auszulegen. Dies führe im Streitfall zu dem Ergebnis, dass das Arbeits­ver­hältnis örtlich auf den (früheren) Sitz der Zentrale -ein Ort im Rhein-Main-Gebiet - bezogen war und die Mitarbeiterin ausschließlich dort, wie auch tatsächlich geschehen, ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte. Hierfür spreche auch, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich auf einen stabilen Arbeitsort angewiesen sei, da der Wechsel des Beschäf­ti­gungsortes für ihn erhebliche Konsequenzen habe. Die Verlegung der gesamten Betrie­bs­zentrale ändere an dieser Bewertung nichts. Auch in einem solchen Fall seien die indivi­du­a­l­ver­trag­lichen Grenzen hinsichtlich des Orts der Arbeitsleistung zu beachten, denn es gebe keine allgemeine Folgepflicht des Arbeitnehmers und eine entsprechende Weisungs­be­fugnis des Arbeitgebers unabhängig von der Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte, wenn eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern zwischen den einzelnen Orten liege.

Die Mitarbeiterin habe die Erzielung eines Erwerbs durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft auch nicht böswillig im Sinne § 615 Satz 2 BGB unterlassen, denn ihr war aufgrund ihrer persönlichen familiären Umstände die Aufnahme der angebotenen Arbeit im Ruhrgebiet nicht zumutbar.

Biete ein Arbeitgeber, wie hier, objektiv vertragswidrige Arbeit an, sei im Hinblick auf § 615 Satz 2 BGB die Art dieser Arbeit und die sonstigen Arbeits­be­din­gungen im Vergleich zu der bisherigen Arbeit zu prüfen. Dabei hänge das Maß der gebotenen Rücksichtnahme beim Arbeitgeber regelmäßig davon ab, aus welchen Gründen er keine vertragsgemäße Arbeit anbiete. Bestünden für die Änderung dringende Gründe, denen nicht von vorneherein eine Billigung versagt werden könne, handele ein Arbeitnehmer nicht rücksichtsvoll, wenn er die Arbeit alleine deswegen ablehne, weil sie nicht vertragsgemäß sei, und er deshalb ohne Erwerb bleibe. Die beiderseitigen Gründe für die Zuweisung bzw. Ablehnung der neuen Arbeit seien vielmehr zu benennen und sodann gegeneinander abzuwägen.

Danach habe die Mitarbeiterin nicht böswillig die Erzielung von anderweitigem Verdienst unterlassen. Zwar sei zu Gunsten des Arbeitgebers einzuräumen, dass er die Mitarbeiterin nach zuvor erfolgter Verlegung der Zentrale nach Rückkehr aus der Elternzeit vertragsgemäß nicht mehr beschäftigen konnte. Dieser Umstand sei aber nicht überraschend eingetreten. Vielmehr habe die Möglichkeit bestanden, rechtzeitig gegenüber der Mitarbeiterin unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist und Beachtung des Sonder­kün­di­gungs­schutzes nach dem BErzGG eine Änderungs­kün­digung mit dem Angebot auszusprechen, ihre Arbeitsleistung - nach Beendigung der Elternzeit - zukünftig im Ruhrgebiet zu erbringen. Demgegenüber sei zu berück­sich­tigten, dass die verheiratete Arbeitnehmerin, deren Ehemann tagsüber berufstätig ist, Mutter zweier kleiner Kinder sei und ihr Wohnort fast 300 km vom neuen Betriebssitz entfernt liege. Somit sei ihr die Aufnahme einer Tätigkeit im Ruhrgebiet nicht zuzumuten gewesen.

Quelle: ra-online, LAG Hessen

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