Nach der Privatisierung von Aer Lingus durch die irische Regierung im Jahr 2006 erwarb Ryanair eine Beteiligung von 19,16 % am Kapital dieser Gesellschaft. Am 23. Oktober 2006 gab Ryanair ein öffentliches Übernahmeangebot über das gesamte Kapital von Aer Lingus ab und meldete den geplanten Erwerb eine Woche später gemäß der Fusionskontrollverordnung bei der Kommission an. Während der Laufzeit des öffentlichen Übernahmeangebots erwarb Ryanair weitere Aktien und hielt am 26. November 2006 25,17 % am Kapital von Aer Lingus.
Am 27. Juni 2007 erließ die Kommission eine Entscheidung, mit der das Vorhaben des Erwerbs von Aer Lingus durch Ryanair für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wurde. Ryanair erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Gericht (Rechtssache T-342/07). Nach der Entscheidung der Kommission erwarb Ryanair weitere Aktien, wodurch ihre Beteiligung am Kapital von Aer Lingus auf 29,3 % stieg.
Sowohl während des Verfahrens, das zu der Verbotsentscheidung führte, als auch nach dem Erlass dieser Entscheidung ersuchte Aer Lingus die Kommission, Ryanair aufzugeben, sich von allen von ihr an Aer Lingus gehaltenen Aktien zu trennen. Die Kommission lehnte dies mit Entscheidung vom 11. Oktober 2007 ab und wies darauf hin, dass sie im Rahmen der Fusionskontrollverordnung nicht dazu befugt sei, Ryanair aufzugeben, sich von ihrer Beteiligung zu trennen, obwohl der geplante Erwerb nicht durchgeführt worden sei und Ryanair nur eine Minderheitsbeteiligung halte, die ihr weder de jure noch de facto die Ausübung einer Kontrolle über Aer Lingus ermögliche. Aer Lingus erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Gericht (Rechtssache T-411/07). Mit Beschluss vom 18. März 2008 wies der Präsident des Gerichts den parallel dazu gestellten Antrag von Aer Lingus auf Erlass einstweiliger Anordnungen ab, mit denen Ryanair an der Ausübung ihrer Stimmrechte gehindert werden sollte.
Mit seinen Urteilen bestätigt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die beiden Entscheidungen der Kommission.
In Bezug auf die Verbotsentscheidung stellt das Gericht fest, dass sich mit keinem der von Ryanair vorgetragenen Argumente die von der Kommission in dieser Entscheidung getroffenen Feststellungen in Frage stellen lassen, wonach ein wirksamer Wettbewerb durch die Durchführung des Zusammenschlusses infolge der Begründung einer beherrschenden Stellung auf mehreren Märkten ab oder nach Dublin, Cork und Shannon erheblich behindert würde. Die entsprechenden beherrschenden Stellungen wären Monopolstellungen oder sehr bedeutende Stellungen und reichen als solche aus, um die Schlussfolgerung der Kommission zu bestätigen, dass die Durchführung des Zusammenschlusses für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt werden muss.
Außerdem hat Ryanair keine Argumente vorgetragen, mit denen sich die Bewertung der Kommission in Frage stellen ließe, wonach die sich aus dem Zusammenschluss ergebenden Behinderungen für den Wettbewerb mit den im Verwaltungsverfahren – teilweise sehr spät – angebotenen Verpflichtungen nicht in tragfähiger und dauerhafter Weise beseitigt werden könnten.
In Bezug auf die Entscheidung, mit der es abgelehnt wurde, Ryanair aufzuerlegen, sich von ihrer Beteiligung zu trennen, stellt das Gericht fest, dass der Erwerb einer Beteiligung, die als solche keine Kontrolle über eine Gesellschaft verleiht – also die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des entsprechenden Unternehmens auszuüben – keinen bewirkten Zusammenschluss im Sinne der Fusionskontrollverordnung darstellt, der von dieser Verordnung erfasst würde. In Ermangelung der Übernahme einer tatsächlichen Kontrolle über Aer Lingus durch Ryanair kann deren Beteiligung keinem bereits bewirkten Zusammenschluss gleichgestellt werden, der die Kommission zum Handeln berechtigte. Unter diesen Umständen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Kommission ihre Entscheidung, Ryanair nicht aufzugeben, sich von ihrer Beteiligung an Aer Lingus zu trennen, rechtlich hinreichend begründet hat.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.07.2010
Quelle: ra-online, EuGH