23.11.2024
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Dokument-Nr. 34083

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.06.2024

Aufwachsen mit westlichen Werten als AsylgrundFrauen können nach vielen Jahren in Westen eine "soziale Gruppe" im Sinne des Asylrechts bilden

Frauen, auch minderjährige, die als gemeinsames Merkmal ihre tatsächliche Identifizierung mit dem Grundwert der Gleichheit von Frauen und Männern teilen, zu der es im Zuge ihres Aufenthalts in einem Mitgliedstaat gekommen ist, können je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland als einer „bestimmten sozialen Gruppe“ zugehörig angesehen werden, im Sinne eines „Verfol­gungs­grundes“, der zur Zuerkennung der Flüchtlings­eigenschaft führen kann.

Zwei irakische Mädchen halten sich seit 2015 ununterbrochen in den Niederlanden auf. Nachdem ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz abgelehnt worden waren, stellten sie Folgeanträge. Diese begründeten sie damit, dass sie infolge ihres langfristigen Aufenthalts in den Niederlanden die Normen, Werte und Verhal­tens­weisen ihrer Altersgenossen in dieser Gesellschaft angenommen hätten. Bei einer Rückkehr in den Irak wären sie nicht in der Lage, sich den Regeln einer Gesellschaft anzupassen, in der Frauen und Mädchen nicht dieselben Rechts hätten wie Männer. Sie befürchteten, wegen ihrer Identität, die sich in den Niederlanden geformt habe, verfolgt zu werden. Die nieder­län­dischen Behörden lehnten auch diese Folgeanträge ab. Die jungen Frauen wandten sich daher an ein nieder­län­disches Gericht. Dieses beschloss, den Gerichtshof zur Auslegung der Richtlinie 2011/95 über den internationalen Schutz zu befragen, in der die Voraussetzungen festgelegt sind, unter denen Dritt­staats­an­ge­hörigen die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuerkannt werden kann. Dieser Status ist für den Fall vorgesehen, dass ein Dritt­staats­an­ge­höriger wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird.

Verfolgung muss identi­täts­prägende Überzeugung betreffen

In seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass Frauen, auch minderjährige, die als gemeinsames Merkmal ihre tatsächliche Identifizierung mit dem Grundwert der Gleichheit von Frauen und Männern teilen, zu der es im Zuge ihres Aufenthalts in einem Mitgliedstaat gekommen ist, je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland als einer „bestimmten sozialen Gruppe“ zugehörig angesehen werden können, im Sinne eines „Verfol­gungs­grundes“, der zur Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft führen kann. Er weist darauf hin, dass die nationalen Behörden, wenn ein Antragsteller, der um internationalen Schutz nachsucht, minderjährig ist, im Rahmen einer indivi­du­a­li­sierten Prüfung der Begründetheit des von dem Minderjährigen gestellten Antrags zwangsläufig das Kindeswohl berücksichtigen müssen.

Ferner kann bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, der auf einen Verfolgungsgrund wie die „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ gestützt wird, ein langfristiger Aufenthalt in einem Mitgliedstaat berücksichtigt werden, und zwar vor allem dann, wenn er mit einem Zeitraum zusammenfällt, der für den minderjährigen Antragsteller identi­täts­bildend ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, ra-online (pm/ab)

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