18.10.2024
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Dokument-Nr. 8407

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.09.2009

EuGH: Generelle Verpflichtung zur Zahlung von Wertersatz bei Rücksendung von Waren nicht zulässigWiderrufsrecht darf durch Zahlung von Wertersatz nicht beeinträchtigt werden

Ein Verbraucher, der von seinem Recht gebrauch macht, einen Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz zu widerrufen, darf nicht generell dazu verpflichtet werden, dem Verkäufer Wertersatz für die Nutzung der Ware zu leisten. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Verbraucher, der die Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerecht­fer­tigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat, zum Wertersatz verpflichtet werden.

Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz widerrufbar

Die Gemein­schafts­richtlinie über den Verbrau­cher­schutz bei Vertrags­ab­sch­lüssen im Fernabsatz bestimmt, dass ein Verbraucher einen Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen kann. Die einzigen Kosten, die ihm auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.

Frage nach Vereinbarkeit von Wertersatz mit Gemein­schafts­richtlinie

Da das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) dem Verkäufer aber ermöglicht, vom Käufer für die Nutzung der gelieferten Ware Wertersatz zu verlangen, fragt das Amtsgericht Lahr den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit einer solchen Verpflichtung mit der Gemein­schafts­richtlinie.

Diese Frage stellt sich anlässlich eines Rechtsstreits über den Widerruf eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Notebook, der von einer deutschen Verbraucherin, Frau Messner, über das Internet abgeschlossen wurde.

Sachverhalt

Nachdem der Verkäufer des Notebooks die kostenlose Beseitigung eines im August 2006, also acht Monate nach dem Kauf, aufgetretenen Defekts abgelehnt hatte, widerrief Frau Messner den Kaufvertrag und bot dem Verkäufer Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises die Rücksendung des Notebooks an. Der Widerruf erfolgte innerhalb der im BGB vorgesehenen Fristen, da Frau Messner nicht die nach dessen Bestimmungen für das Inlaufsetzen der Frist erforderliche Wider­rufs­be­lehrung erhalten hatte.

Verkäufer verlangt Wertersatz für genutzte Ware

Frau Messner erhob vor dem Amtsgericht Lahr Klage auf Erstattung des Kaufpreises von 278 Euro. Der Verkäufer trägt beim vorlegenden Gericht gegen die Klageforderung vor, dass Frau Messner ihm für ihre Nutzung des Notebooks für etwa acht Monate auf jeden Fall Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren Notebook liege der Mietpreis im Markt­durch­schnitt bei 118,80 Euro für drei Monate, so dass sich für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von 316,80 Euro ergebe.

Generelle Auferlegung eines Wertersatzes nicht zulässig

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die generelle Auferlegung eines Wertersatzes für die Nutzung der durch einen Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz gekauften Ware mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist. Denn wäre das Widerrufsrecht mit negativen Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht Gebrauch zu machen.

Zahlung eines Wertersatzes beeinträchtigt Widerrufsrecht

Falls nämlich der Verbraucher einen solchen Wertersatz allein deshalb leisten müsste, weil er die Möglichkeit hatte, die durch Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz gekaufte Ware in der Zeit, in der er sie im Besitz hatte, zu benutzen, könnte er sein Widerrufsrecht nur gegen Zahlung dieses Wertersatzes ausüben. Eine solche Folge nähme dem Verbraucher insbesondere die Möglichkeit, die ihm von der Richtlinie eingeräumte Bedenkzeit völlig frei und ohne jeden Druck zu nutzen.

Außerdem würden die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigt, wenn dem Verbraucher auferlegt würde, allein deshalb Wertersatz zu zahlen, weil er die durch Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert hat. Da das Widerrufsrecht gerade zum Ziel hat, dem Verbraucher diese Möglichkeit einzuräumen, kann deren Wahrnehmung nicht zur Folge haben, dass er dieses Recht nur gegen Zahlung eines Wertersatzes ausüben kann.

Geht Nutzung über Test innerhalb des Widerrufrechts hinaus, ist Wertersatz gerechtfertigt

Die Richtlinie hat allerdings nicht zum Ziel, dem Verbraucher Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist. Demzufolge steht die Richtlinie grundsätzlich Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die durch Vertrags­ab­schluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerecht­fer­tigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat.

Wertersatz darf nicht unver­hält­nismäßig gegenüber Kaufpreis sein

Die Befugnis der Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen, ist jedoch unter Beachtung der Zielsetzung dieser Richtlinie auszuüben und darf insbesondere nicht die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigen. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn die Höhe eines Wertersatzes außer Verhältnis zum Kaufpreis der fraglichen Ware stünde oder wenn die nationale Regelung dem Verbraucher die Beweislast dafür auferlegte, dass er die Ware während der Widerrufsfrist nicht in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.

AG muss anhand der Richtlinien des EuGH entscheiden

Das Amtsgericht Lahr hat nun den Rechtsstreit im Lichte der vom Gerichtshof festgestellten Grundsätze unter gebührender Berück­sich­tigung aller seiner Besonderheiten zu entscheiden, insbesondere der Natur der fraglichen Ware und der Länge des Zeitraums, nach dessen Ablauf der Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung der dem Verkäufer obliegenden Infor­ma­ti­o­ns­pflicht sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.

Quelle: ra-online, EuGH

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