18.10.2024
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Dokument-Nr. 5265

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.12.2007

Beschränkung des freien Kapitalverkehrs durch direkte Bestellung von Verwal­tungs­mit­gliedern einer AG durch öffentliche EinrichtungenPrivilegierte Stellung der Stadt verstößt gegen das Gemein­schaftsrecht

Das öffentlichen Einrichtungen vorbehaltene Recht, in einer Aktien­ge­sell­schaft eine gemessen an ihrer Beteiligung unver­hält­nis­mäßige Kontrolle auszuüben, verstößt gegen das Gemein­schaftsrecht. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Das italienischen Rechts­vor­schriften, nach denen eine öffentliche Einrichtung Mitglieder des Verwaltungsrats unmittelbar bestellen kann, könnten Investoren anderer Mitgliedstaaten abschrecken.

Die AEM SpA (Azienda Elettrica Milanese SpA) ist eine von der Stadt Mailand gegründete Aktien­ge­sell­schaft, die sich im öffentlichen Dienst­leis­tungs­sektor als Gas- und Strom­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen betätigt. Sie kam 1998 an die Börse, und die Stadt Mailand hielt einen Anteil von 51 % am Stammkapital der Gesellschaft. Im Rahmen der Privatisierung der AEM verfügte die Stadt eine Verringerung ihrer Beteiligung auf 33,4 %. In diesem Zusammenhang wurde der Stadt in der Satzung der AEM das Recht eingeräumt, bis zu einem Viertel der Mitglieder des Verwaltungsrats der Gesellschaft unmittelbar zu bestellen. Im Übrigen gewährte die Satzung der Stadt das Recht, an der Listenwahl der von ihr nicht unmittelbar bestellten Verwal­tungs­rats­mit­glieder teilzunehmen.

Der Vorbehalt der unmittelbaren Bestellung der Verwal­tungs­rats­mit­glieder in Verbindung mit dem Recht, an der Listenwahl teilzunehmen, ermöglicht es der Stadt Mailand, sich die absolute Mehrheit im Verwaltungsrat der AEM zu sichern, obwohl sie seit der Aktien­ver­äu­ßerung nur die relative Mehrheit der Gesell­schafts­anteile hält.

Feder­c­on­su­matori und weitere Verbrau­cher­schutz­ver­ei­ni­gungen und Kleinaktionäre haben die Beschlüsse des Stadtrats angefochten, mit denen es der Stadt ermöglicht werden sollte, die absolute Mehrheit im Verwaltungsrat der AEM zu behalten. Sie wenden sich gegen diese privilegierte Stellung mit der Begründung, dass sie Investoren davon abhalte, Anteile der AEM zu erwerben, und ihre eigenen Anteile an der Gesellschaft im Wert mindere.

Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia hat den Gerichtshof ersucht, festzustellen, ob die italienischen Rechts­vor­schriften, auf denen diese privilegierte Stellung beruht, mit dem Gemein­schaftsrecht vereinbar sind.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die ihm vorgelegten Fragen von der Prämisse ausgehen, dass allein öffentliche Anteilseigner eine derartige privilegierte Stellung genießen. Außerdem weist er darauf hin, dass das italienische Recht dadurch den öffentlichen Anteilseignern die Möglichkeit bietet, sich stärker an der Tätigkeit des Verwaltungsrats einer Aktien­ge­sell­schaft zu beteiligen, als es ihr Aktionärsstatus normalerweise zuließe. Dadurch könnten sie einen Einfluss ausüben, der über ihre Investitionen hinausgeht und eine Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt. Diese privilegierte Stellung wird nämlich zum einen durch das italienische Recht ermöglicht, das für die Zahl der Verwal­tungs­rats­mit­glieder, die von dem öffentlichen Anteilseigner unmittelbar bestellt werden, keine Beschränkung vorsieht, und zum anderen durch dessen Teilnahme an der Listenwahl der nicht unmittelbar von ihm bestellten Verwal­tungs­rats­mit­glieder.

Die italienische Regelung ist dadurch, dass sie den öffentlichen Anteilseignern ein Instrument bereitstellt, das die Möglichkeit anderer Aktionäre einschränkt, effektiv an der Verwaltung der Gesellschaft mitzuwirken, geeignet, Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von Direk­t­in­ves­ti­tionen in das Kapital der Gesellschaft abzuhalten.

Der Umstand, dass diese Maßnahme im Rahmen der Bestimmungen des Codice civile erfolgt und dass es nach dem Recht zur Bestellung von Verwal­tungs­rats­mit­gliedern einer Entscheidung der Haupt­ver­sammlung der Aktionäre bedarf, ändert nichts am restriktiven Charakter der italienischen Regelung. Ein solches Bestel­lungsrecht ist zwar nicht unveränderlich, da es bei einer späteren Neuregelung der Satzung geändert werden kann. Es genießt jedoch einen relativ starken Schutz, da eine Änderung der Satzung eine qualifizierte Mehrheit der Aktionäre voraussetzt. Selbst wenn der öffentliche Aktionär daher nicht mehr über die notwendige Mehrheit zur unmittelbaren Bestellung von Verwal­tungs­rats­mit­gliedern verfügt, kann er trotzdem weiterhin ein solches Recht in Anspruch nehmen. Solange die Stadt Mailand also ihre Beteiligung in Höhe von 33,4 % am Stammkapital der AEM aufrechterhält, ist es einem Investor nicht möglich, das der Stadt Mailand eingeräumte Recht zur unmittelbaren Bestellung von Verwal­tungs­rats­mit­gliedern aufheben zu lassen. Deshalb stellt der Gerichtshof fest, dass der Grundsatz des freier Kapitalverkehrs dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der italienischen entgegensteht.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 86/07 des EuGH vom 06.12.2007

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