15.11.2024
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Dokument-Nr. 1457

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Urteil13.12.2005Gerichtshof der Europäischen UnionC-446/03
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil13.12.2005

Pauschales Verbot grenz­über­schrei­tender Verlu­st­an­rechnung verstößt gegen EU-RechtEine Regelung über den Konzernabzug, die es einer Gesellschaft verwehrt, von ihrem steuer­pflichtigen Gewinn Verluste ihrer im Ausland ansässigen Tochter­ge­sell­schaften abzuziehen, ist grundsätzlich gemein­schafts­konform

Es verstößt jedoch gegen die Nieder­las­sungs­freiheit, der gebiets­an­sässigen Mutter­ge­sell­schaft die Möglichkeit, von ihrem steuer­pflichtigen Gewinn Verluste von gebietsfremden Tochter­ge­sell­schaften abzuziehen, zu verwehren, wenn sie nachweist, dass diese Verluste im Staat des Sitzes dieser Tochter­ge­sell­schaften nicht berücksichtigt worden sind und nicht berücksichtigt werden können.

Die britische Gesellschaft Marks & Spencer ist eines der führenden Einzel­han­dels­un­ter­nehmen im Vereinigten Königreich für Bekleidung, Lebensmittel, Haushaltswaren und Finanz­dienst­leis­tungen. Sie hatte Tochter­ge­sell­schaften im Vereinigten Königreich und mehreren Mitgliedstaaten. Im Jahr 2001 stellte sie jedoch ihre Tätigkeit in Konti­nen­tal­europa wegen der Verluste, die sie seit Mitte der neunziger Jahre verzeichnete, ein.

Marks & Spencer beantragte bei der britischen Steuer­ver­waltung Konzernabzug für die Verluste ihrer in Belgien, in Deutschland und in Frankreich ansässigen Tochter­ge­sell­schaften. Die britischen Rechts­vor­schriften gestatten es gebiets­an­sässigen Gesellschaften eines Konzerns, untereinander ihre Gewinne und Verluste zu verrechnen, verweigern diese Möglichkeit jedoch für Verluste von Tochter­ge­sell­schaften, die im Vereinigten Königreich nicht ansässig und dort nicht gewerblich tätig sind.

Gegen die Ablehnung ihres Antrags erhob Marks & Spencer Klage. Das nationale Rechts­mit­tel­gericht - der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division - fragt den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach der Vereinbarkeit der britischen Rechts­vor­schriften mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Nieder­las­sungs­freiheit.

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemein­schafts­rechts ausüben mussen.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die britischen Rechts­vor­schriften die Nieder­las­sungs­freiheit beschränken. Die britische Regelung führt zu einer unter­schied­lichen steuerlichen Behandlung von Verlusten einer gebiets­an­sässigen und solchen einer gebietsfremden Tochter­ge­sell­schaft. Sie hält dadurch von der Gründung von Tochter­ge­sell­schaften in anderen Mitgliedstaaten ab. Eine derartige Beschränkung kann nur zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allge­mein­in­teresses gerechtfertigt ist. In einem solchen Fall muss sie allerdings zur Erreichung des damit verfolgten Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist.

Aus den drei von den Mitgliedstaaten vorgetragenen Recht­fer­ti­gungs­gründen, nämlich

- Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteu­e­rungs­be­fugnis zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten, so dass Gewinne und Verluste im Rahmen eines Steuersystems spiegelbildlich behandelt werden;

- Vermeidung der Gefahr einer doppelten Verlust­be­rück­sich­tigung, die bestünde, wenn die Verluste im Mitgliedstaat der Mutter­ge­sell­schaft und in den Mitgliedstaaten der Tochter­ge­sell­schaften berücksichtigt wurden; und

- Vermeidung der Steuer­flucht­gefahr, die bestünde, wenn die Verluste nicht in den Mitgliedstaaten der Tochter­ge­sell­schaften berücksichtigt wurden; innerhalb eines Gesell­schafts­konzerns konnten Verlu­stu­ber­tra­gungen in Richtung der Gesellschaften geleitet werden, die in den Mitgliedstaaten ansässig sind, in denen die höchsten Steuersätze gelten und folglich der steuerliche Wert der Verluste am höchsten ist,

ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die britische Regelung ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt und zwingenden Gründen des Allge­mein­in­teresses entspricht.

Jedoch verstößt die britische Regelung gegen den Grundsatz der Verhalt­nis­mä­ßigkeit, d. h. sie geht über das hinaus, was erforderlich ist, um die verfolgten Ziele zu erreichen, wenn

- die gebietsfremde Tochter­ge­sell­schaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeitraume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berück­sich­tigung von Verlusten ausgeschöpft hat, und

- keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochter­ge­sell­schaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeitraume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochter­ge­sell­schaft auf ihn, berücksichtigt werden.

Sofern die gebiets­an­sässige Mutter­ge­sell­schaft gegenüber den Steuerbehörden nachweist, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, verstößt es gegen die Nieder­las­sungs­freiheit, wenn es ihr verwehrt wird, von ihrem steuer­pflichtigen Gewinn die Verluste ihrer gebietsfremden Tochter­ge­sell­schaft abzuziehen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 107/05 des EuGH vom 13.12.2005

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