15.11.2024
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Dokument-Nr. 6675

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Urteil11.09.2008Gerichtshof der Europäischen UnionC-426/08, C-427/08, C-428/08, C-429/08, C-430/08, C-431/08, C-432/08, C-433/08, C-434/08,
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.09.2008

EuGH zu den Kriterien zur Einstufung von Steuerreglungen einer Gebiets­kör­per­schaft

Der Europäische Gerichtshof hat die Kriterien präzisiert, anhand deren sich auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen feststellen lässt, ob eine Gebiets­kör­per­schaft im Verhältnis zur Zentraggewalt über institutionelle, prozedurale und wirtschaftliche Autonomie verfügt. Es ist insbesondere zu prüfen, ob die Berechnung und das Verfahren, mittels deren die Höhe der Finanztransfers zwischen den verschiedenen Verwaltungen festgesetzt wird, möglicherweise einen Ausgleich der Kosten bewirken, die durch eine von der Gebiets­kör­per­schaft erlassenen Regelung entstehen, und ob eine solche Regelung einen verdeckten Ausgleich nach sich ziehen kann

Die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands besteht aus drei Gebiets­kör­per­schaften, die als Territorios Históricos bezeichnet werden: Álava, Vizcaya und Gipúzcoa. Der politische und institutionelle Aufbau der Autonomen Gemeinschaft weist zwei verschiedene Ebenen auf, nämlich die der dem gesamten Baskenland gemeinsamen Institutionen und die der auf dem Sonderrecht der Fueros beruhenden Institutionen oder Organe, die innerhalb der Territorios Históricos begrenzte Zuständigkeiten besitzen.

Im Jahr 2005 erließen alle drei Territorios Históricos eine Steuerregelung, die den Satz der Körper­schaft­steuer generell auf 32,5 % festsetzte und verschiedene Abzüge von der Körper­schaft­steuer vorsah. Nach den allgemein im spanischen Staat geltenden steuer­recht­lichen Vorschriften beträgt der normale Satz der Körper­schaft­steuer hingegen 35 % und bestehen solche Abzugs­mög­lich­keiten nicht. Nach dem Erlass dieser Steuer­re­ge­lungen der Territorios Históricos erhoben eine Gewerkschaft (UGT de La Rioja) und zwei benachbarte Autonome Gemeinschaften (La Rioja und Castilla y León) beim Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Autónoma del País Vasco (Oberster Gerichtshof der Autonomen Gemeinschaft des Baskenlands) eine Klage auf Nichti­g­er­klärung dieser Steuer­re­ge­lungen.

Das Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Autónoma del País Vasco hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die von den Territorios Históricos erlassenen Steuer­re­ge­lungen allein deshalb als selektive, bestimmte Unternehmen oder Produk­ti­o­ns­zweige begünstigende Maßnahmen und damit als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen anzusehen sind, weil sie nicht für das gesamte Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats gelten.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass zugleich auf die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands abzustellen ist, um zu ermitteln, ob die unterstaatliche Einrichtung, die sowohl von diesen Territorios Históricos als auch von dieser Gemeinschaft gebildet wird, über eine ausreichende Autonomie verfügt, um den Bezugsrahmen zu bilden, anhand dessen die Selektivität einer von einem dieser Territorios Históricos erlassenen Maßnahme zu beurteilen ist.

Der Gerichtshof führt weiter aus, dass die Feststellung, ob die von einer unter­staat­lichen Einrichtung erlassenen Rechts­vor­schriften eine staatliche Beihilfe mit selektivem Charakter darstellen, die Prüfung der Frage verlangt, ob diese unterstaatliche Einrichtung über eine ausreichende institutionelle, prozedurale und wirtschaftliche Autonomie verfügt, damit eine von ihr in den Grenzen der ihr übertragenen Zuständigkeiten erlassene Rechts­vor­schrift als innerhalb dieser unter­staat­lichen Einrichtung allgemein geltend angesehen werden kann und somit keinen selektiven Charakter besitzt. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der vom Gerichtshof geprüften Gesichtspunkte und aller übrigen von dem vorlegenden Gericht für relevant erachteten Gesichtspunkte festzustellen, ob die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands eine solche Autonomie besitzen, was zur Folge hätte, dass die Regelungen, die in den Grenzen der diesen unter­staat­lichen Einrichtungen übertragenen Zuständigkeiten erlassen werden, keinen selektiven Charakter im Sinne der Bestimmung des EG-Vertrags über das Verbot staatlicher Beihilfen haben. Der Gerichtshof weist außerdem darauf hin, dass diese Prüfung erst nach einer vorherigen Kontrolle durchgeführt werden kann, mit der sichergestellt werden kann, dass die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands die Grenzen ihrer Zuständigkeiten einhalten, da die Vorschriften u. a. über die Finanztransfers im Hinblick auf diese so definierten Zuständigkeiten ausgearbeitet wurden. Im Hinblick auf das Kriterium der insti­tu­ti­o­nellen Autonomie stellt der Gerichtshof fest, dass unterstaatliche Einrichtungen wie die Territorios Históricos und die Autonome Gemeinschaft des Baskenlands diesem Kriterium genügen, weil sie mit einem gegenüber dem der Zentra­l­re­gierung eigenen politischen und administrativen Status ausgestattet sind.

Zur prozeduralen Autonomie führt der Gerichtshof aus, dass dieses Kriterium erfüllt ist, wenn die Entscheidung der unter­staat­lichen Einrichtung getroffen wurde, ohne dass die Zentra­l­re­gierung die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt unmittelbar zu beeinflussen. Der Gerichtshof präzisiert dies in mehrerer Hinsicht. Zum einen stellt er klar, dass dieses Kriterium nicht ein Verfahren der Abstimmung ausschließt, wie es nach spanischem Recht zur Vermeidung von Normkonflikten im Ausschuss für Koordinierung und normative Bewertung stattfindet, sofern die nach Abschluss dieses Verfahrens erlassene Endentscheidung - wie im vorliegenden Fall - von der unter­staat­lichen Einrichtung und nicht von der Zentra­l­re­gierung erlassen wird. Zum anderen stellt der Gerichtshof fest, dass die spanische Zentra­l­re­gierung nicht die Möglichkeit besitzt, den Prozess des Erlasses von Rechts­vor­schriften der Territorios Históricos unmittelbar zu beeinflussen, um Grundsätzen wie denen der Solidarität oder der steuerlichen Harmonisierung, die die betroffenen unter­staat­lichen Einrichtungen bei dem Erlass einer Steuerregelung berücksichtigen müssen, Geltung zu verschaffen. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, die erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen.

Das Kriterium der wirtschaft­lichen und finanziellen Autonomie schließlich verlangt, dass die finanziellen Auswirkungen einer Senkung des für die Unternehmen in der Region geltenden nationalen Steuersatzes nicht durch Zuschüsse oder Subventionen aus den anderen Regionen oder von der Zentra­l­re­gierung ausgeglichen werden. Im Rahmen seiner Prüfung des Systems zur Berechnung des Finanzbeitrags, den die baskische Autonome Gemeinschaft zur Deckung der Kosten jener Lasten, die der spanische Staat im Bereich der nicht von der Autonomen Gemeinschaft ausgeübten Zuständigkeiten trägt, an den Staat überweist, hebt der Gerichtshof hervor, dass eines der wesentlichen Daten für die Berechnung dieses Finanzbeitrags der Anrech­nungs­ko­ef­fizient ist. Dieser Koeffizient soll zwar grundsätzlich das relative Gewicht der baskischen Wirtschaft in ganz Spanien widerspiegeln, jedoch wird er in Verhandlungen festgelegt, die im Wesentlichen politischer Art sind. Folglich wirkt sich eine Entscheidung, den Steuersatz zu senken, nicht notwendig auf die Höhe dieses Koeffizienten aus. Der Gerichtshof weist im Übrigen darauf hin, dass eine Unterbewertung des Anrech­nungs­ko­ef­fi­zienten nur einen Anhaltspunkt für das Fehlen einer wirtschaft­lichen Autonomie der Territorios Históricos darstellen könnte. Um das Fehlen dieser Autonomie tatsächlich festzustellen, muss nämlich ein Ausgleich bestehen, d. h. ein Kausa­l­zu­sam­menhang zwischen einer von den Behörden der Territorios Históricos erlassenen steuerlichen Maßnahme und den Beträgen, die der spanische Staat tragen muss.

Jedenfalls obliegt es dem vorlegenden Gericht, festzustellen, ob der Prozess der Festsetzung des Anrech­nungs­ko­ef­fi­zienten es der Zentra­l­re­gierung ermöglichen soll, die Kosten einer die Unternehmen begünstigenden steuerlichen Maßnahme der Territorios Históricos auszugleichen. Ebenso obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob wegen der verwendeten Methode und der berück­sich­tigten wirtschaft­lichen Daten die Berechnung des Finanzbeitrags zur Folge haben kann, dass der spanische Staat die Auswirkungen einer von den Territorios Históricos erlassenen steuerlichen Maßnahme kompensiert.

Der Gerichtshof hält es im Übrigen nicht für ausgeschlossen, dass eine steuersenkende Entscheidung der unter­staat­lichen Einrichtung wegen der für die Bemessung der Finanztransfers verwendeten Berech­nungs­methode höhere Transfers zu ihren Gunsten zur Folge hat. Das vorlegende Gericht hat daher zu prüfen, ob die von den Territorios Históricos erlassenen Regelungen verdeckte Ausgleichs­zah­lungen in Bereichen wie der sozialen Sicherheit oder der durch den spanischen Staat verbürgten Garantie eines Mindestniveaus der öffentlichen Dienst­leis­tungen oder auch in der Funktionsweise des inter­ter­ri­to­rialen Ausgleichsfonds nach sich ziehen können.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 63/08 des EuGH vom 11.09.2008

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