23.11.2024
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Dokument-Nr. 11424

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil05.04.2011

EuGH: Absolutes Verbot von Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen für Wirtschafts­prüfer durch nationale Regelung unzulässigVerbot stellt Beschränkung des Dienst­leis­tungs­verkehrs dar

Eine nationale Regelung darf für Wirtschafts­prüfer kein absolutes Verbot von Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen vorsehen. Ein solches durch die „Dienstleistungs“-Richtlinie untersagtes Verbot stellt eine Beschränkung des grenz­über­schrei­tenden freien Dienst­leis­tungs­verkehrs dar. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die „Dienstleistungs“-Richtlinie dient der Errichtung eines freien und wettbe­wer­bs­fähigen Dienst­leis­tungs­markts zur Förderung des Wirtschafts­wachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union. Sie sieht hierzu die Beseitigung von Beschränkungen der Nieder­las­sungs­freiheit und des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs zwischen Mitgliedstaaten vor, wie absoluter Verbote aller Formen von kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienst­leis­tungen oder des Erschei­nungs­bildes eines Unternehmens dienen. Im Übrigen soll die Richtlinie die Interessen der Verbraucher schützen, indem sie die Qualität der Dienst­leis­tungen der reglementierten Berufe im Binnenmarkt verbessert.

Französischer Kodex der Standes­pflichten der Wirtschafts­prüfer untersagt jegliche Art der Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen

Der französische Kodex der Standes­pflichten der Wirtschaftsprüfer untersagt den Angehörigen dieses Berufs Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen, d. h. jegliche unaufgeforderte Kontaktaufnahme mit einem Dritten zu dem Zweck, diesem seine Dienst­leis­tungen anzubieten. Ihre Teilnahme an Kolloquien, Seminaren oder anderen universitären oder wissen­schaft­lichen Veranstaltungen ist zulässig, soweit sie bei dieser Gelegenheit keine Handlungen vornehmen, die mit Kundenakquise gleichzusetzen sind.

Nationales Gericht legt EuGH Frage zur Zulässigkeit des vollständigen Kunde­n­ak­qui­se­verbots vor

Die Société fiduciaire ersuchte den Conseil d’État, diese Regelung für nichtig zu erklären, da sie der Ansicht ist, dass das darin enthaltene Verbot der „Dienstleistungs“-Richtlinie zuwiderlaufe. Der Conseil d’État beschloss, den Gerichtshof der Europäischen Union um Auskunft hinsichtlich der Auslegung dieser Richtlinie zu ersuchen, und legte ihm die Frage vor, ob die Mitgliedstaaten Angehörigen eines reglementierten Berufs – wie des Wirtschafts­prü­fer­berufs – allgemein verbieten dürfen, Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen vorzunehmen.

Nach Ansicht des Gerichtshofs erweist sich zunächst, dass der Unions­ge­setzgeber mit dem Erlass dieser Richtlinie zum einen absolute Verbote jeglicher Form von kommerzieller Kommunikation für Angehörige reglementierter Berufe beseitigen wollte. Zum anderen beabsichtigte er die Beseitigung von Verboten, eine oder mehrere Formen der kommerziellen Kommunikation, wie insbesondere Werbung, Direktmarketing und Sponsoring, zu verwenden. Als gemäß der Richtlinie untersagte absolute Verbote sind auch Berufsregeln anzusehen, nach denen es untersagt ist, in einem Medium oder in einer Reihe von Medien Informationen über den Dienstleister oder seine Tätigkeit zu veröffentlichen.

Verbote der kommerziellen Kommunikation müssen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein

Es steht den Mitgliedstaaten jedoch frei, für reglementierte Berufe Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation vorzusehen, wobei die vorgesehenen Regelungen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müssen, um die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstands sowie die Wahrung des Berufs­ge­heim­nisses zu gewährleisten.

Der Gerichtshof prüft sodann die Bedeutung des Begriffs der „Kundenakquise“, um festzustellen, ob diese als „kommerzielle Kommunikation“ anzusehen ist, für die ein Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie kein allgemeines und absolutes Verbot aufstellen darf.

Kundenakquise stellt kommerzielle Kommunikation im Sinne der Richtlinie dar

Da das Unionsrecht keine Legaldefinition des Begriffs der „Kundenakquise“ enthält, legt der Gerichtshof diese aus als eine Form der Übermittlung von Informationen mit dem Ziel der Gewinnung neuer Kunden, die einen perso­na­li­sierten Kontakt zwischen Dienst­leis­tungs­er­bringer und potenziellem Kunden impliziert, um diesem ein Dienst­leis­tungs­angebot zu unterbreiten. Sie lässt sich daher als Direktmarketing qualifizieren. Die Kundenakquise ist somit kommerzielle Kommunikation im Sinne der Richtlinie.

Verbot für Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen kann als absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation gemäß der Richtlinie angesehen werden

Der Gerichtshof antwortet daher, dass das für Wirtschafts­prüfer geltende Verbot, Kunde­n­ak­qui­se­hand­lungen vorzunehmen, als nach der Richtlinie untersagtes absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation angesehen werden kann. Das in der französischen Regelung weit gefasste Verbot untersagt nämlich jegliche Kunde­n­ak­qui­se­tä­tigkeit unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder den verwendeten Mitteln. Dieses Verbot untersagt somit alle Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel, die die Durchführung von Kunde­n­ak­qui­se­tä­tig­keiten ermöglichen.

Absolutes Verbot stellt Beschränkung des grenz­über­schrei­tenden freien Dienst­leis­tungs­verkehrs dar

Ein solches Verbot ist daher als absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation anzusehen und stellt somit eine Beschränkung des grenz­über­schrei­tenden freien Dienst­leis­tungs­verkehrs dar. Dieses Verbot kann nämlich Berufs­an­ge­hörige aus anderen Mitgliedstaaten stärker beeinträchtigen, indem es ihnen ein wirksames Mittel nimmt, um in den französischen Markt einzudringen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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